Essen. . Ab 2021 müssen Gemeinden für fast all ihre Angebote Umsatzsteuer abführen. Der Mehraufwand ist enorm und droht die Kirchen im Herzen zu treffen.
Seit Jahren schon verlieren die Kirchen im Land stetig Mitglieder, Pfarreien schrumpfen oder schließen sich in der Not zusammen, manche verschwinden komplett. Weil vielerorts die Kasse leer ist und der Sparzwang groß, hängt das Gemeindeleben mehr denn je vom Ehrenamt ab, viele Angebote bedeuten für die Kirche schon jetzt einen enormen Kraftakt. „Wir sind eben keine Behörde und haben nur begrenzt hauptamtliches Personal“, sagt Peter Schmidt-Kuhl von der Propsteipfarrei St. Augustinus in Gelsenkirchen. Er kümmert sich um die Finanzen und die Verwaltung seiner Pfarrei – und fürchtet, dass sich die angespannte Lage schon bald drastisch verschärfen könnte.
Der Grund dafür ist eine öffentlich bislang kaum beachtete Änderung im Steuerrecht, die bereits seit 2016 in Kraft ist, dank einer Übergangsfrist von fünf Jahren allerdings erst ab dem 1. Januar 2021 ganzheitlich Anwendung findet: Der neue Paragraf 2b des Umsatzsteuergesetzes. Durch diesen wird das Finanzamt künftig jedes Mal mitverdienen, wenn Gemeinden durch den Verkauf von Waren und Dienstleistungen ihre klammen Kassen füllen – von der Vermietung der eigenen Räumlichkeiten über das Veranstalten von Lesungen und Konzerten bis hin zum Verkauf von Bratwurst, Kaffee und Kuchen beim örtlichen Gemeindefest. Schon heute wirbelt die Neuregelung die Gemeindeverwaltungen mächtig durcheinander.
Ehrenamtliche Helfer könnten die Lust verlieren
„Das ist ein riesiger Verwaltungsaufwand, der da zu stemmen sein wird“, beklagt Schmidt-Kuhl, dessen Pfarrei selbst eine Fusion aus einst zehn eigenständigen Gemeinden ist. Fünf davon sind heute noch übrig. Im ganzen Land ermitteln die Kirchenämter schon seit Monaten, zum Teil mit der Unterstützung von Steuerberatern, ob und an welchen Stellen die Gemeinden und Kreise vom neuen Gesetz betroffen sein werden. Sicher ist nur, dass der bürokratische Aufwand steigt – und das birgt ab 2021 noch ein zweites, potenziell viel größeres Problem, wie Schmidt-Kuhl weiß: „Natürlich fürchten wir auch Auswirkungen auf das ehrenamtliche Engagement.“
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Denn, so erklärt der Verwaltungsleiter: „Wir müssen die Ehrenamtlichen ja davon überzeugen können, dass sie mit ihrem Amt etwas Gutes tun. Fließen die Einnahmen in die Gemeindekasse, ist das wunderbar, aber womöglich werden demnächst viele sagen: Ich arbeite doch nicht fürs Finanzamt.“ Zumal dann, wenn die Neuregelung auch noch mit spürbar mehr Arbeit verbunden sei. „Diese Reform des Umsatzsteuergesetzes ist eine Bürokratie-Kanone, mit der – angeblich im Sinne des freien Wettbewerbs – auf gemeinnützige Spatzen gezielt wird“, kritisiert auch Arne Kupke, Vizepräsident der Evangelischen Kirche in Westfalen. Er weiß wie kein Zweiter, dass ein erheblicher Teil der Gemeindearbeit durch Ehrenämter überhaupt erst möglich wird. Bleiben die künftig aus, könnten in weiteren Gemeinden die Lichter ausgehen.
Auch ein Wegfall kirchlicher Angebote ist denkbar
Ihren Ursprung hat die kritisierte Änderung in einer Richtlinie der Europäischen Union über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem: „Seit Jahren hat die EU auf eine Veränderung der Praxis in Deutschland gedrängt, weil sie in der bisherigen Regelung eine unangemessene Privilegierung der öffentlichen Hand gesehen hat“, erklärt Wolfgang Beiderwieden von der Evangelischen Kirche im Rheinland. Lange Zeit hatte sich der deutsche Gesetzgeber gegen eine Neuregelung der Umsatzbesteuerung gewehrt. Weil der Europäische Gerichtshof und der Bundesfinanzhof allerdings in mehreren Entscheidungen die Auffassung der EU vertraten, setzten Bundestag und Bundesrat die Richtlinie im September 2015 schließlich in deutsches Recht um.
Der Gedanke hinter der Neuordnung ist, dass schließlich auch ein Bäcker Kaffee und Kuchen verkauft, ebenso Blumenläden Gestecke und Adventskränze und Gastronomen Bier, Softdrinks sowie warme Speisen – und sie alle von der Umsatzsteuer betroffen sind. Dasselbe Recht soll deshalb ab 2021 auch für Gemeinden gelten, die Umsatzsteuer wird von sieben Prozent (auf wenige Waren wie Blumen, Bibeln oder Kirchenführer) bis zu den üblichen 19 Prozent variieren.
„Nur Frust und Ärger“
Wie sich die Gemeindearbeit jedoch künftig gestalten, wie der Mehraufwand aufgefangen wird, ist derzeit noch überhaupt nicht abzusehen. Das Schreckgespenst indes geht längst umher: So seien eben auch Preiserhöhungen bei Gemeindefesten nicht auszuschließen, erklärt Schmidt-Kuhl, ebenso Eintrittsgelder bei bislang spendenbasierten Auftritten. Sogar der Wegfall ganzer kirchlicher Angebote droht. „Wir müssen uns dann wirklich im Einzelnen überlegen: Ist das, was wir da tun, noch sinnhaft? Wenn der Aufwand zu groß wird, dann muss man es einstellen. Ansonsten produziert man nur Frust und Ärger.“