Gelsenkirchen. . Das juristische Ping-Pong-Spiel ist in die nächste Runde gegangen. Jetzt ein Gericht entschieden: Die Abschiebung des Tunesiers war rechtens.
Sami A. muss nicht nach Deutschland zurückgeholt werden, vorerst jedenfalls. Der als Gefährder eingestufte Islamist und mutmaßliche Leibwächter des 2011 getöteten Terrorfürsten Osama bin Laden ist im vergangenen Sommer zu Recht nach Tunesien abgeschoben worden. Das entschied gestern das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen. Der Fall Sami A. hat wie kaum ein anderer in den vergangenen Jahren die Gerichte beschäftigt und wuchs sich zuletzt zu einem Politikum aus.
Der heute 42-jährige Tunesier kam 1997 mit einem Studentenvisum nach Deutschland. Im Jahr 2000 soll er nach Afghanistan gereist sein, wo er in einem Camp der Terrororganisation Al Kaida ausgebildet worden sein soll. Zurück in Deutschland soll er sich in salafistischen Kreisen bewegt haben. Zwischenzeitlich ermittelte die Bundesanwaltschaft wegen Terror-Verdachts gegen ihn, das Verfahren wurde aber 2007 mangels Beweisen eingestellt. Sami A. selbst bestritt die Vorwürfe gegen ihn stets.
„Dschihadistisches Gedankengut“
Gleichwohl stuften die Behörden ihn weiterhin als Gefährder ein und attestierten ihm „dschihadistisches Gedankengut“ und eine „gewalttätige Gesinnung“. Nach 2007 musste er sich täglich bei der Polizei in Bochum melden, wo er mittlerweile lebte. Ebenfalls 2007 wurde sein Asylantrag abgelehnt. Abgeschoben werden konnte er aber nicht. 2010 sprach das Oberverwaltungsgericht in Münster ein Abschiebeverbot aus, da Sami A. in seinem Heimatland möglicherweise Folter drohe.
Danach begann ein juristisches Ping-Pong-Spiel zwischen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) und den Gerichten in NRW. Wegen der nach dem „Arabischen Frühling“ verbesserten Menschenrechtslage in Tunesienwiderrief das Bamf 2014 das Abschiebeverbot für Sami A., das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen und das Oberverwaltungsgericht Münster setzten es wieder ein.
Nacht-und-Nebel-Aktion
Im Sommer 2018, kurz nach der Abschiebung des ebenfalls aus Tunesien stammenden islamistischen Gefährders Heykel S. aus Frankfurt, unternahm das Bamf einen erneuten Anlauf und widerrief das Abschiebeverbot ein zweites Mal. Innenminister Horst Seehofer nahm sich selbst des Falls an und erklärte: „Mein Ziel ist es, die Abschiebung zu erreichen.“
In einer Nacht-und-Nebel-Aktion wurde Sami A. schließlich am 13. Juli in einer Charter-Maschine nach Tunesien ausgeflogen. Kostenpunkt: 35.000 Euro. Allerdings hatte das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen am Vorabend erneut entschieden, dass er nicht abgeschoben werden dürfe – der Beschluss erreichte die zuständigen Behörden allerdings erst, als Sami A. schon in der Luft war.
Dicke Luft zwischen Justiz und Behörden
Weil das Gericht nicht über den Flug in Kenntnis gesetzt worden war, herrschte danach dicke Luft zwischen Behörden und Justiz.
Die Präsidentin des Münsteraner OVG, Ricarda Brandts, warf den Behörden vor, bewusst die Grenzen des Rechtsstaats ausgetestet zu haben, NRW-Flüchtlingsminister Joachim Stamp (FDP) musste sich gegen den Vorwurf der Rechtsbeugung wehren – und die Gerichte entschieden, dass Sami A. wieder aus Tunesien zurückgeholt werden müsse.
Erst als nach zähem diplomatischen Ringen die tunesische Botschaft in einer Verbalnote beschied, dass A. keine menschenrechtswidrige Behandlung drohe, wurde die Rückholung mit einem Eilantrag auf Eis gelegt.
Berufung ist möglich
Dabei bleibt es jetzt zunächst. Das Gelsenkirchener Verwaltungsgericht wies eine Klage der Anwältinnen des 46-Jährigen ab, mit der sie das Abschiebeverbot wieder in Kraft setzen wollten. Ihrem Mandanten gehe es in Tunesien schlecht, berichteten sie.
Er lebt dort zwar auf freiem Fuß, nachdem er zunächst zwei Wochen inhaftiert war. Aber „er leidet unter vielfältigen Belastungen.“ Immer wieder werde er von der tunesischen Polizei verhört.
Die Anwältinnen bezweifelten, dass in Tunesien nicht gefoltert werde. Sie habe den aus Frankfurt abgeschobenen Islamisten Heykel S. im Gefängnis besucht, erzählte Anwältin Seda Basay. „Er war in einem desolaten Zustand und hat von Folter berichtet“, so die Anwältin. Dass ihrem Mandanten Sami A. keine Folter drohe, müsse mit Gutachten belegt werden, die Verbalnote der tunesischen Botschaft reiche nicht aus.
Verbalnote „hinreichend verlässlich“
Das Gericht sah es anders. Die Verbalnote sei „hinreichend verlässlich“, Gutachten seien deswegen nicht notwendig. Die Kammer gehe nicht davon aus, dass Sami A. in Tunesien Folter oder eine andere unmenschliche Behandlung drohe. Deswegen wiesen die Richter die Klage ab. Sami A. muss nicht zurückgeholt werden.
Gegen das Urteil kann allerdings Berufung eingelegt werden. Die Anwältinnen von Sami A. wollen jetzt zunächst die schriftliche Urteilsbegründung abwarten.