Mülheim. . Trotz Erklärung zur Einheit der Partei: Die Stimmung bei der SPD ist zum Bersten gespannt. Viele fordern härtere Gangart gegen „Intriganten“.
Am späten Abend stand die gemeinsame Erklärung der Genossen, dass man bis auf Weiteres auf gegenseitige Schuldzuweisungen verzichten wolle. Nachfragen der Journalisten, das machte der stellvertretende Parteivorsitzende Cem Aydemir deutlich, seien zwecklos. Er verlas lediglich jene vom Vorstand handschriftlich zu Papier gebrachte Erklärung. Die sollte ein Zusammenstehen der Partei ausdrücken. Doch der Kitt war kaum verstrichen, da hatte er schon erhebliche Risse.
Auf nahezu wahnwitzige Weise war kurz nach der gemeinsamen Sitzung von Parteivorstand, dessen beratenden Mitgliedern und Ortsvereinsvorsitzenden ein Papier der Jusos an die Öffentlichkeit gelangt, mit dem die Jugendorganisation während der dreistündigen, als vertraulich vereinbarten Diskussion nicht als einzige eine harte Gangart der Partei gegen Scholtens parteiinterne Gegenspieler gefordert hatte. Ein Parteimitglied entriss das Papier einem anderen und drückte es einem Journalisten in die Hand – wohl kalkulierend, dass er dem Ringen der Partei um Einheit damit einen Bärendienst erweisen würde.
Ohne Absprache mit Partei- oder Fraktionsvorstand
Nach Informationen dieser Zeitung waren nicht nur die Jusos, sondern auch die Mitglieder des Parteivorstandes mit der Forderung in die Sitzung gegangen: Es sei aufzuklären, warum die SPD-Dezernenten Frank Mendack und Ulrich Ernst sowie Dieter Spliethoff und Claus Schindler als Fraktionsspitze bereits am 16. Mai OB Scholten unter Vorhaltung allerlei Vorwürfe zum Rücktritt aufgefordert hatten – ein verabredeter Alleingang des Quartetts, ohne Absprache mit Partei- oder Fraktionsvorstand.
Es gibt nicht Wenige, die dem Quartett eine politische Intrige vorwerfen. Am Dienstagabend bei der Aussprache im Kaminzimmer von Franky’s Bar sollen ein paar Genossen gar die ganz harte Gangart gegenüber den „Königsmördern“ eingefordert haben: die Einsetzung der SPD-Schiedskommission, die im strikt formellen Verfahren prüfen könnte, ob den „Intriganten“ parteischädigendes Verhalten anzulasten sein könnte – mit der Konsequenz des Parteiausschlusses.
Schlimmer als einst die Intrige gegen Kaiser Caesar
Ein Ortsvereinsvorsitzender redete sich noch am Dienstagabend in Rage. Was das Quartett in den vergangenen Wochen mit Scholten veranstaltet habe, sei schlimmer als einst die Intrige gegen den römischen Kaiser Caesar. Während der bei seiner Ermordung wenigstens noch aufrecht gestanden habe, hätte Scholten aufgrund des Todes seiner Ehefrau und seiner Operation am Boden gelegen, als seine eigenen Genossen ihm am 16. Mai den Dolchstoß hätten verpassen wollen. Niederträchtiger, so der Ortsvereinsvorsitzende, könne die Partei gar nicht mehr agieren. Er zeigte sich noch am Dienstag tief erschüttert: In den Ortsvereinen reiße man sich den Allerwertesten auf und sei erster Adressat für die verfehlte eigene Politik „der da oben“. Was falle denen denn ein? Man möge sich doch zuvorderst darauf besinnen, endlich mal wieder sozialdemokratische Politik zu machen. . .
Frust und Fassungslosigkeit sitzen tief. Die Stimmung ist für viele, das verrieten am späten Abend allein die versteinerten, angestrengten wie erschöpften Mienen, am Kellerfundament angelangt. Und es drückt weiter. Von dem langjährigen alten Fraktionsvorsitzenden Dieter Wiechering ist eine Wutrede aus der Sondersitzung seiner Fraktion am Dienstag vor acht Tagen übermittelt, in der auch er sich die Vierer-Riege um seinen Nachfolger Dieter Spliethoff vorgeknöpft haben soll. Einen unmenschlichen Umgang mit dem OB soll er ihnen vorgeworfen, jeglichen Anstand abgesprochen haben.
Fraktionsspitze um Dieter Spliethoff schweigt
Dabei müsste die SPD aus eigener Anschauung vor Ort noch präsent haben, wie das nächste Wahlergebnis ausfallen dürfte, wenn eine Partei eine ihrer Spitzenleute in aller Öffentlichkeit demontiert. Die SPD selbst (Alt-OB Güllenstern, Bundestagskandidat Schröer) als auch die CDU (Alt-OB Baganz) haben bei den nächsten Wahlen stets die Quittung der Wähler bekommen.
Der wachsweichen Erklärung des Parteivorstands zum Trotz ist dieser Tage nur eins wohl völlig unumstritten unter Mülheims Genossen: Die Umstände der aktuellen OB-Affäre ist für die SPD eine „Katastrophe“.
Für alle Beteiligten, für den unter Untreue-Verdacht stehenden Parteichef und OB Ulrich Scholten, wie auch für seine Widersacher, gilt laut offizieller Sprechregelung nun, dass Schuldzuweisungen oder gar Vorverurteilungen bis zu einer Klärung auszubleiben haben. Fraktionschef Spliethoff und Fraktionsgeschäftsführer Schindler äußerten sich am Dienstagabend nach der Sitzung nicht und betonten auch tags drauf, dass sie sich zur Sache vorerst nicht mehr äußern werden. Scholten ließ derweil die eine oder andere Forderung von Dienstag, es den beiden gleichzutun, an sich abprallen und stellte sich am Morgen den Fragen von Radiohörern.