Düsseldorf. Gewerkschaft Verdi fordert NRW zum Handeln auf. Mülheims Oberbürgermeister Marc Buchholz (CDU) pocht auf eine Zusage des Kanzlers.

Der Druck auf die NRW-Landesregierung, bei der Entschuldung der Kommunen nicht erst auf eine Initiative der Bundesregierung zu warten, nimmt zu. Vor dem Hintergrund steigender Zinsen und der Warnung des Finanzprofessors Martin Junkernheinrich vor einer „finanziellen Zeitbombe“ insbesondere für die Städte des Ruhrgebiets, forderte am Dienstag die Gewerkschaft Verdi in NRW Schwarz-Grün zum Handeln auf.

"NRW zeigt auf den Bund, der Bund zeigt auf NRW"

„Wir brauchen eine Altschuldenlösung für die Kommunen. Die Zinsen ziehen an, die Kredite werden teurer, und die Kommunen haben immer weniger Handlungsspielräume“, sagte Verdi-NRW-Chefin Gabriele Schmidt. Hilfe des Landes sei nun „zwingend erforderlich“. Im Moment zeige der Bund bei diesem Thema nur auf NRW, und NRW zeige nur auf den Bund. Nicht zu handeln sei aber „verantwortungslos“, so Schmidt.

Verdi NRW hat nach zwei Jahren wieder einen eigenen Kommunalfinanzbericht verfasst, der die Situation bis Mitte Oktober 2022 beschreibt. Demnach ist die Ausgangslage zwar gar nicht so schlecht, denn in den Jahren 2020 und 2021 sei es vielerorts in NRW sogar gelungen, Haushalts-Überschüsse zu erzielen, und durch die Konjunkturhilfen von Bund und Land während der Pandemie habe sich die wirtschaftliche Situation nicht so schlecht entwickelt wie zunächst befürchtet. Aber aus der Nähe betrachtet seien gerade die Schulden-Kommunen in NRW nicht auf die vielen neuen Aufgaben vorbereitet, die auf sie zukämen, warnte Martin Nees, der Verfasser des Berichtes.

Rathäuser, Schulen und Einwohnermeldeämter als "energetische Ruinen"

Für die Verkehrswende müssten die Kommunen massiv in den öffentlichen Nahverkehr investieren, seien damit aber überfordert, und das neue 49-Euro-Ticket verschärfe die Unterfinanzierung zusätzlich, so Verdi. Die meisten kommunalen Gebäude seien mindestens 35 Jahre alt und damit „energetische Ruinen“, so Nees. Fast jeder dritte Beschäftigte in den Kommunen gehe in den kommenden zehn Jahren in den Ruhestand, aber es gebe keine Ausbildungskapazitäten mehr, um diese Lücken zu schließen. Viele Ämter seien unterbesetzt, viele Schulen und Kitas marode, Sozialausgaben gingen besonders im Revier durch die Decke.

Bayern top, NRW ein Flop

Herzstück des Berichts ist ein Vergleich zwischen Nordrhein-Westfalen und Bayern, der verdeutlichen soll, wie sehr NRW im Zuge des Strukturwandels noch im Nachteil sei. So seien seit 1992 in NRW 371 Euro pro Schüler in den Schulbau geflossen, in Bayern 1004 Euro. Beim Vergleich der sozialen Leistungen pro Einwohner kam NRW im Jahr 2021 auf 1075 und Bayern auf 663 Euro. Der kommunale Investitionsstau seit 2011 je Einwohner betrage in NRW 2881 Euro, in Bayern aber nur 714 Euro.

Das Land NRW müsse nun von sich aus alles tun, um den Kommunen zu helfen. „Ich glaube jedenfalls nicht, dass der Bund in die Altschuldenlösung einsteigt“, sagte Martin Nees. Es gebe „mächtige Länderfürsten“ wie zum Beispiel Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), die gegen Finanzhilfen für Kommunen in ärmeren Ländern seien. „Die Altschuldenregelung wird hier in NRW gemacht werden müssen.“

Mülheims OB Buchholz ärgert sich über Kanzler Scholz

Tief besorgt über den Umgang der Bundesregierung mit der Altschuldenfrage zeigt sich unterdessen Mülheims Oberbürgermeister Marc Buchholz. Der CDU-Politiker und Stadtchef der NRW-Kommune mit der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung im Land erinnert im Gespräch mit dieser Redaktion an den Ruhr-Berlin-Dialog der Ruhrgebiets-Oberbürgermeister im März. Damals habe Bundeskanzler Olaf Scholz den anwesenden Revier-OBs und Landräten eine Lösung der Altschuldenfrage noch bis Ende dieses Jahres zugesagt. „Doch bis heute hat sich nichts getan“, sagt Buchholz.

Deswegen wandte sich der OB Anfang November noch einmal persönlich an den Bundeskanzler. Am 4. des Monats erging aus dem Mühlheimer Rathaus ein Schreiben an Scholz mit der Bitte um Antwort auf die Frage, wann denn die Bundesregierung ihren Vorschlag zur Altschuldenlösung in das Gesetzgebungsverfahren einbringen wolle. „Leider haben wir bis heute keine Reaktion aus Berlin erhalten, nicht einmal eine Eingangsbestätigung“, berichtet Buchholz – und das trotz zweimaliger Nachfrage im Kanzleramt. „Der Kanzler hält nicht ein, was er verspricht. Und die Beweggründe dafür werden nicht kommuniziert“, kritisiert der Mühlheimer Stadtchef.

Unterdessen laufe Mülheim „die Zeit davon“, betont der OB mit Blick auf die angespannte Finanzlage seiner Stadt. Mülheim stehe allein bei den Kassenkrediten mit 1,1 Milliarden Euro in der Kreide, an Tilgung sei nicht zu denken. Alle Sparanstrengungen der Stadt, die noch bis Ende 2023 unter besonderer Aufsicht des NRW-Stärkungspaktes steht, seien bereits ausgereizt.

Ohne Schuldenlösung leiden Sport und Kultur vor Ort

Buchholz rechnet wegen der steigenden Zinsen absehbar mit zusätzlichen Kreditkosten in Höhe von 33 Millionen Euro jährlich. „Das Geld werden wir aus dem Haushalt schneiden, ohne dass es irgendeinen Mehrwert für die Bürger gibt“, betont er. Im Gegenteil: Ohne Altschuldenlösung werde es zweifellos zu Einschnitten bei den städtischen Leistungen kommen, fürchtet Buchholz. In Frage kämen dafür nur die so genannten freiwilligen städtischen Leistungen: Kultur, Sport oder die Grünflächenpflege.

Finanzierungslücken treffen auch Busse und Bahnen

Verdi warnte auch vor der zunehmenden Unterfinanzierung des öffentlichen Nahverkehrs in NRW. Die rund 560 Millionen Euro, die die Verkehrsbetriebe in NRW für Einnahmeausfälle beim 49-Euro-Ticket erhalten sollen, würden die Verluste nicht kompensieren. Und die vom Bund in Aussicht gestellte Erhöhung der Regionalisierungsmittel für den Nahverkehr sichere allenfalls die heutigen Angebote. Künftige Lohnsteigerungen und Investitionen seien noch nicht eingepreist. Verdi rechnet nach Einführung des neuen Deutschlandtickets mit „weniger statt mit mehr Nahverkehr“.

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