Essen. Noch immer ist unklar, wann das neue Deutschlandticket kommt. Aus Sicht des VRR sind wichtige Finanzierungsfragen noch immer offen.
Ein Start des Deutschlandticket genannten 49-Euro-Tickets für den Nahverkehr schon zum Jahreswechsel wird immer unwahrscheinlicher. Wichtige Detailfragen der Finanzierung des bundesweit gültigen Tickets durch den Bund und die Länder sind trotz des Grundsatzbeschlusses zur Einführung des Deutschlandtickets auf der Ministerpräsidentenkonferenz mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) vor einer Woche jedoch noch immer nicht beantwortet, sagt José Luis Castrillo, Vorstandsmitglied des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr im Interview mit dieser Redaktion.
Herr Castrillo, wann kommt das Deutschlandticket im Ruhrgebiet an – wie von Bundesverkehrsminister Volker Wissing gewünscht am 1. Januar oder doch erst im März?
Wir werden das Deutschlandticket so schnell wie möglich umsetzen. Detailfragen der Finanzierung durch den Bund und die Länder sind allerdings noch offen. Einen Termin möchte ich an dieser Stelle deshalb noch nicht nennen. Wir bereiten uns aber mit Hochdruck auf die Einführung vor. Kunden können sich über unsere App allerdings schon jetzt registrieren. Mit unseren Verkehrsbetrieben arbeiten wir daran, dass der Wechsel insbesondere für unsere bisherigen Abonnenten so kundenfreundlich wie nur möglich abläuft. Niemand muss jetzt schon sein laufendes Abo kündigen.
Woran hakt es denn noch?
Bund und Land müssen noch Regelungen finden, wie genau den Verkehrsbetrieben und Verbänden die durch das Deutschlandticket ausgelösten Umsatzverluste erstattet werden. Es geht ja um unsere Liquidität. Wir reden über Einnahmen von rund 500 Millionen Euro, die nach Einführung des Tickets im VRR-Bereich umgehend wegfallen.
Wer wird vom Deutschlandticket profitieren?
570.000 unserer rund 1,25 Millionen Abokunden im VRR zahlen derzeit mehr als 49 Euro im Monat für Ihr Abonnement. Diese Kunden werden bei der Umstellung sofort profitieren. Zudem rechnen wir für den VRR und seine Verkehrsbetriebe kurzfristig mit rund 100.000 neuen Abonnenten durch das Deutschlandticket. Wir reden über ein hochattraktives Produkt gerade für Berufspendler. Aber auch im Freizeitbereich wird der ÖPNV durch das Deutschlandticket deutlich günstiger. Das beliebte Bärenticket, mit dem Menschen ab 60 im gesamten Verbundraum fahren können, kostet zum Beispiel heute fast doppelt so viel.
Das neue Ticket wird Angebote wie das Bärenticket im Grunde überflüssig machen. Was wird aus dem komplexen VRR-Tarifsystem mit seinen zahllosen Varianten?
Daran wollen und werden wir arbeiten. Das Tarifsystem wird sich auf Sicht sicher signifikant ändern. Dabei müssen wir Sorge tragen, dass unterhalb der durch das Deutschlandticket endlich erreichten Einheitlichkeit und Einfachheit im Tarif nicht ein neuer Tarifdschungel entsteht.
Was meinen Sie genau?
Es gibt Ticketvarianten, die heute unter der 49-Euro-Schwelle liegen. Was machen wir damit? Welche Lösungen gibt es für Schüler, Azubis und Studierende? Ein Beispiel: Über den Semesterbeitrag zahlen Studierende in NRW derzeit knapp 36 Euro monatlich für die ÖPNV-Nutzung. Das Semesterticket gilt aber nur in NRW, das etwas teurere Deutschlandticket bundesweit. Welche Lösungen gibt es dafür? Können wir künftig ein landesweit gültiges Schülerticket anbieten? Und wie gehen wir mit dem Sozialticket um, das zwar nur 29 Euro kostet, dafür aber lediglich innerhalb einer Stadt genutzt werden kann? Diese und viele weitere Fragen müssen wir im Gespräch mit den anderen Verkehrsverbünden und mit dem Land klären.
Wie schnell kann das geklärt werden?
Man wird Finanzierungstöpfe und Förderstrecken zusammendenken und ein nachvollziehbares Angebot daraus zimmern müssen. Ich denke nicht, dass das von heute auf morgen geht. Ich gehe von einem Stufenkonzept aus, bei dem zunächst die Einführung des 49-Euro-Angebots am Anfang steht.
Welche Schritte müssen noch bedacht werden?
Das Deutschlandticket soll die Digitalisierung des ÖPNV vorantreiben und wird eines Tages die Ticket-Entwerter an Haltestellen und in Bahnen überflüssig machen. Das wird auch gelingen. Trotzdem wollen wir als VRR das Ticket auch als gewohnte Chipkarte anbieten. Aber auch die Karten müssen produziert werden.
Der Bund hat neben den Mitteln für das Deutschlandticket auch zugesagt, seine Zuschüsse für den ÖPNV, die sogenannten Regionalisierungsmittel, um jährlich eine Milliarde Euro zu erhöhen. Reicht das aus?
Es ist ein Schritt in die richtige Richtung, besonders auch, weil die Mittel ab dem kommenden Jahr anders als bisher nicht mehr um 1,8, sondern um drei Prozent angepasst werden sollen. Diese Dynamisierung hilft natürlich. Andererseits ist schon jetzt klar, dass das Geld nicht ausreichen wird, auch nur die Bestandsverkehre dauerhaft weiter zu finanzieren. Steigende Betriebs- und Personalkosten sowie die dringend nötigen und ja auch erwünschten Investitionen in neue Antriebstechnologien lassen sich dadurch nicht auffangen. Hier muss deutlich mehr passieren, wenn man es ernst meint mit der Mobilitätswende und den nationalen Klimazielen. Der Effekt des Deutschland-Tickets muss am Ende spitz abgerechnet werden. Zwei Jahre sind schnell um. Und es darf nicht sein, dass die Kommunen als Auftraggeber des ÖPNV auf den Kosten sitzen bleiben.