Bautzen. Der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck im Interview über Neuwahlen, autofreie Zeiten in Deutschland – und über Olaf Scholz als Kellner.

Der Grünen-Star lebt seit Wochen aus dem Koffer. Auf seiner Sachsen-Tour vor der Landtagswahl am 1. September hat Robert Habeck in Bautzen gesprochen. Jetzt packt er selbst mit an, lädt Plakate in einen Bulli ein. Am nächsten Morgen sitzt er nach einer Joggingrunde im Innenhof eines kleinen Boutique-Hotels und erzählt, was er mit Deutschland vorhat.

Herr Habeck, was ist das für ein Gefühl, als erster Grüner eine echte Chance zu haben, Kanzler zu werden?

Robert Habeck: Das hat mit Gefühl nichts zu tun. Das ist keine Diskussion, die wir gerade führen. Meine und unsere ganze Konzentration richtet sich auf Sachsen und Brandenburg.

Warum so bescheiden?

Habeck: Das hat auch mit Bescheidenheit nichts zu tun, sondern mit einem klaren Bewusstsein, für das, was jetzt nötig ist. Wir haben uns frei gemacht von diesen Debatten, wer was wann werden könnte. Stattdessen arbeiten wir konsequent inhaltlich. Der Blick auf notwendige gesellschaftliche Veränderungen ist unsere Stärke. Das wollen wir durchhalten.

Der

sagt: „Robert Habeck ist die grüne Persönlichkeit, die zum Kanzleramt führen kann.“ Bei Umfragewerten von bis zu 26 Prozent kann man so etwas sagen....

Habeck: Noch ist ja gar keine Bundestagswahl. Wenn sie ansteht, werden wir alle dafür nötigen Personalfragen mit großer Ernsthaftigkeit entscheiden.

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Habeck: Wir haben mit Ursula Nonnemacher eine hervorragende Spitzenkandidatin, die mit ihrer Kraft, Konzentration und Erfahrung ein Gewinn für Brandenburg ist. Und ich freue mich, dass Annalena erklärt hat, dass sie – so wie ich – wieder für den Bundesvorsitz kandidieren will und wir hoffentlich die großartige Zusammenarbeit gemeinsam fortsetzen können.

Die grüne Doppelspitze ist auf einmal „role model“. Die SPD will den Erfolg kopieren.

Habeck: Ihre Personalfragen die SPD mit Verlaub selbst klären. Eine Doppelspitze ist natürlich keine Garantie, dass es doppelt gut läuft. Wenn es aber gelingt, kann es beflügeln.

Die Groko ist alles andere als stabil. Stehen Sie mit den Grünen bereit, wenn es darum geht, Verantwortung zu tragen?

Habeck: Ich stelle fest, dass die innerparteilichen Befindlichkeiten von Union und SPD immer wichtiger werden als das Regierungsgeschäft. Falls die Große Koalition bricht, spricht nichts mehr für einen neuen Regierungsanlauf in dieser Legislaturperiode. Dann sollte neu gewählt werden. Die politische Landschaft hat sich grundlegend geändert. Die Themen - allen voran die Klimakrise - haben eine noch größere Dringlichkeit. Die meisten Parteien sind voller neuer Führungen. Niemand von ihnen hat sich bisher um das Mandat und Vertrauen der Menschen beworben, Deutschland zu regieren. Aber genauso so ein Mandat bräuchte es.

Können Sie diese gigantischen Erwartungen in einer Regierung überhaupt erfüllen?

Habeck: Wir wollen Verantwortung und trauen sie uns zu. Der hohe Zuspruch ist ja seit langem hart erarbeitet. Wir haben die Erfahrungen aus vielen Landesregierungen. Und wir versuchen schon jetzt in der Opposition wie eine Regierung zu arbeiten.

Regieren heißt auch, schmerzhafte Entscheidungen zu treffen. Wer muss bei Ihnen den Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft am Ende bezahlen?

Habeck: Erstmal ist klar, dass Nichtstun teurer wird als Handeln. Klimaschutz hingegen ist der beste Weg, öffentliches und privates Geld zu mobilisieren und neuen Wohlstand durch anderes Wirtschaften zu schaffen. Der Kohlendioxid-Ausstoß braucht einen Preis. Das, was darüber eingenommen wird, sollten die Menschen direkt über ein Energiegeld zurückbekommen. Das ist sozial. Nach Berechnungen kommt ein Energiegeld besonders den Haushalten mit geringen Einkommen zugute.

Die Autoindustrie wird von einer Konjunkturkrise als erstes erfasst. Bleiben Sie dabei, dass es ab 2030 keine neuen Diesel und Benziner mehr geben darf?

Habeck: Das ist die logische Konsequenz aus dem Pariser Klimaschutzvertrag. Auch die große Koalition und die Kanzlerin haben sich verpflichtet, dass Deutschland bis 2050 klimaneutral wirtschaftet. Wenn ein Auto 15 Jahre gefahren wird, ist es logisch, dass die letzten neuen Wagen mit fossilen Verbrennungsmotoren um 2030 verkauft werden müssen, sonst schaffen wir das nicht. Studien besagen, dass schon Mitte der 2020er Jahre Autos mit Batterien nicht mehr teurer sein werden als die mit Verbrennungsmotoren und es damit ohnehin auf das Aus von Dieseln und Benzinern hinausläuft.

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    Wenn es nach Ihnen ginge: Ab wann sollte es keine Inlandsflüge mehr geben?

    Habeck: Bis 2030 sollte die Bahn so attraktiv, schnell, günstig und leistungsfähig sein, dass Inlandsflüge überflüssig sind. Parallel dazu gilt es, spannende Forschung zu Solar-getriebenen Flügen oder zu erneuerbarem Kerosin voranzutreiben. Aber die stecken noch in den Kinderschuhen.

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    Ihr Ziel sind weitgehend autofreie Innenstädte. Man könnte ja mit einzelnen autofreien Tagen beginnen....

    Habeck: Das liegt in der Hand der Städte, die jeweils am besten entscheiden und ausprobieren können, was bei ihnen funktioniert. Ich weiß, autofreie Innenstädte klingt erst einmal abgefahren. Aber es ist auch eine Chance für Einzelhändler, gegen die Internetkonzerne zu bestehen. Ich kann heute alles sehr leicht im Netz bestellen, aber dabei geht auch etwas verloren: auf dem Marktplatz sitzen, die Sonne spüren, Klamotten anprobieren. Bei einem Ausbau von Bussen und Bahnen können Autos in stellenweise unnötig werden, bestimmte Straßen könnten an wenigen Tagen für einige Stunden komplett autofrei sein. Das wird ja in diversen Städten schon ausprobiert. Und wenn samstags Kinder mit Kreide auf der Straße Himmel und Hölle spielen, warum sollen die das nicht auch am Freitag tun?

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    Den Umweltschutzaspekt erkenne ich derzeit nicht. Sinn würden sie meiner Meinung nach vor allem ergeben, wenn man zum Beispiel am Stadtrand mit dem E-Scooter statt mit dem Auto zu S-Bahn fährt und dann weiter mit der Bahn in die Stadt.

    Sind Sie selbst schon mal so ein Ding gefahren?

    Habeck: Nein. Reizt mich nicht. Ich laufe lieber.

    Die wahre grüne Heldin ist zur Zeit Greta und nicht Annalena oder Robert. Läuft das Mädchen Gefahr, von der Öffentlichkeit verheizt zu werden?

    Habeck: Ich hoffe, die Menschen um sie herum sind klug genug, um sie zu schützen. Greta steht für den Wunsch nach einer großen Konsequenz. Es ist ihre Stärke, dass sie das bedingungslos einfordern kann. Politik hat eine andere Rolle: Sie muss den Weg zum Ziel ebnen und dafür sorgen, dass die Schritte wirtschaftlich und rechtlich gangbar sind und akzeptiert werden. Die politische Aufgabe besteht darin, für die Antworten auf die ökologischen Krisen Mehrheiten herzustellen. Zum Klimaschutz gehört der Kompromiss, sonst bleibt er Theorie.

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      Ihre Abstinenz bei Twitter war ein großes Thema. Offenbar gibt es bei vielen den Wunsch nach Entschleunigung. Lassen wir uns von der Digitalisierung zu sehr überrollen?

      Habeck: Das gab etwas Aufregung damals, stimmt. Aber inzwischen ist es breit akzeptiert. Und ja, das derzeitige Geschäftsmodell der sozialen Medien ist so entworfen, dass wir verführt werden. Sie haben einen hohen Suchtfaktor. Technik und das Internet sind großartig. Aber nicht alles, was uns als Errungenschaft vorgegaukelt wird, bereichert unser Leben.

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      gegen eine besonders starke AfD. Was haben die etablierten Parteien falsch gemacht?

      Habeck: Erstmal: Wir kämpfen für eine Gesellschaft, in der die Grundprinzipien des Zusammenhalts gelten. Und ich erlebe ein Land mit viel Aufbruch und Zuversicht. Aber ja, es wurden Fehler gemacht. Die spezifisch ostdeutschen Erfahrungen in den Biografien, in der Berufswelt, wurden nicht richtig zugelassen und aufgearbeitet. Deshalb konnte der Populismus sie instrumentalisieren. Keine Schulen, keine Krankenhäuser, kein Bus, kein Internet, das gibt es auch in Dithmarschen oder Bayern. Aber besonders in den ostdeutschen Ländern setzt die AfD auf dem Gefühl auf, abgehängt zu sein, und kombiniert das mit einem „Wir“ gegen die „Die da oben im Westen“. Die Rechtspopulisten schüren die Wut und produzieren gezielt das Bild vom gespaltenen Land.

      Bewegen sich die AfD und deren Wähler noch im demokratischen Spektrum?

      Habeck: Die AfD entfernt sich daraus. Der „Flügel“ der AfD mit Björn Höcke und Andreas Kalbitz ist eindeutig jenseits davon. Sie führen die AfD in Richtung NPD und verabschieden sich damit von Grundwerten der Demokratie.

      Ist dieser Trend nach rechts noch umkehrbar, wenn ja wie?

      Habeck: Wir alle müssen ostdeutsche Erfahrungen und Identitäten stärker wertschätzen und gegenseitig Fehler zugeben. Und wir dürfen nicht auf Autoritätszweifel mit neuem Autoritätsgedöhns antworten. Statt dem Ruf nach dem starken Mann zu folgen, geht es um einen funktionierenden Staat und eine starke Zivilgesellschaft. Und die gibt es: 70 bis 80 Prozent der Wähler in Sachsen und Brandenburg stehen für den Grundkonsens von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ein. Die Zivilgesellschaft reklamiert den Raum dafür. Alles hängt daran, nicht im Klischee zu denken.

      Stehen Sie hier in Sachsen bereit für ein schwarz-grünes Bündnis?

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      In Kreistagen hat sie schon das Tabu gebrochen und kooperiert sie mit der AfD, teils der NPD. Es braucht also eine starke politische Kraft, die nicht nur den Mut zu Veränderungen in eine Regierung hineinträgt, vor allem beim Klimaschutz, sondern dafür sorgt, dass Sachsen in weiter Weltoffenheit und Vernunft gelten. Wir sind der Garant, dass die CDU nicht nach rechts abdriftet. Und so sind wir bereit zu handeln.

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      wie bisher...

      Habeck: Ich weiß nicht, was diese Theorie-Debatte soll. Wir regieren auf der Landesebene in verschiedenen Konstellationen und können unsere Politik umsetzen. Das Ehrlichste, was man tun kann, ist zu sagen, wir stehen für unsere Ideen ein und versuchen, sie so gut wie möglich in Handeln zu übersetzen. Die Zeit der Lagerwahlkämpfe ist vorbei.

      Gerhard Schröder hat zu rot-grünen Zeiten geunkt: Wir sind Koch und Ihr seid Kellner. Jetzt drehen sich die Machtverhältnisse. Können Sie sich als künftiger Koch Olaf Scholz als Kellner vorstellen?

      Habeck: Das Problem bei dem Satz ist, dass es ein Denken von oben herab ist. Das passt nicht mehr unsere Zeit. Olaf Scholz kenne ich als Hamburger Bürgermeister, als ich Umweltminister in Kiel war. Immer gab es eine persönlich gute Zusammenarbeit. Olaf Scholz ist ein erfahrener und verlässlicher Politiker. Welchen Parteivorsitz die SPD braucht, wird sie aber souverän selbst entscheiden.