Düsseldorf. . Lehrer entwickelt sich anscheinend immer mehr zum Frauenberuf. An allen Schulformen sind die Lehrerinnen inzwischen in der Mehrheit. Pädagogen warnen: „In den Klassen fehlen die Vaterfiguren.“ Viele Kinder erleben erst spät eine männliche Lehrkraft – wenn überhaupt.
Der Lehrerberuf wird in Nordrhein-Westfalen immer mehr zum Frauenberuf. Nicht einmal mehr jede dritte Lehrkraft an den allgemeinbildenden Schulen ist männlich. In den vergangenen Jahren brach der Anteil der Männer in den Lehrerzimmern um fast fünf Prozentpunkte ein, wie neue Zahlen des Statistischen Landesamtes (IT.NRW) zeigen. Der Trend erfasst sämtliche Schulformen von der Grundschule bis zum Gymnasium. Lehrerverbände äußerten sich am Freitag gegenüber unserer Redaktion entsetzt über diese Entwicklung.
Wie sehr sich die Männer von diesem Beruf wegbewegen, zeigt der Zehn-Jahres-Vergleich: 2003/04 waren männliche Lehrer an den Gymnasien noch in der Mehrheit (53,8 Prozent); 2013/14 erreichten sie nur noch 43,2 Prozent. An den Grundschulen, in denen immer schon viel mehr weibliche als männliche Lehrkräfte arbeiteten, ging der Männeranteil in den vergangenen zehn Jahren noch weiter zurück und sank zuletzt auf unter 10 Prozent.
Männer haben anscheinend viele Alternativen zum Lehrerberuf
Peter Silbernagel, der Vorsitzende des Philologen-Verbandes NRW, spricht von einer „Katastrophe“. „Die Feminisierung des Lehrerberufes beeinträchtigt die Erziehung. Schülerinnen und Schüler müssen im Unterricht sowohl Lehrerinnen als auch Lehrer erleben“, sagte Silbernagel unserer Redaktion. Er führt den Trend unter anderem darauf zurück, dass Männer gute Alternativen zum Lehrerberuf auf dem Arbeitsmarkt fänden. Für Frauen sei das Lehramt interessant, weil es die Kombination von Familie und Beruf erleichtere.
Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) erkennt in den Zahlen ein Imageproblem: Pädagogische Berufe hätten nicht genügend Wertschätzung. „Und das alte Rollenbild, Erziehung sei eine Frauen-Aufgabe, scheint immer noch in vielen Köpfen verankert zu sein“, sagte VBE-Vorsitzender Udo Beckmann.
Auch interessant
Nicht einmal jeder dritte Lehrer ist männlich
Übrigens: Auch die gerade erst in Nordrhein-Westfalen eingerichteten Sekundar- und Gemeinschaftsschulen sind, was das Personal angeht, eher „weiblich“: Der Männeranteil dort liegt bei rund 30 Prozent.
„Warum soll ich mir das antun?“, scheinen viele junge Männer zu denken, wenn die Rede vom Lehrerberuf ist. Die Statistik unterstreicht diesen Eindruck. Im Schnitt ist nämlich nicht einmal jede dritte Lehrkraft an den NRW-Schulen männlich. Und für das zunehmende Desinteresse der Männer, Jungs und Mädchen das Schreiben, das Rechnen oder Biologie beizubringen, scheint es gute Gründe zu geben.
Gute Abiturienten wollen selten Lehrer werden
Im vergangenen Sommer lieferte der „Hochschul-Bildungsreport“ des Stifterverbandes und der Unternehmensberatung McKinsey einen Hinweis darauf, dass der Lehrer-Job generell nicht mehr besonders attraktiv zu sein scheint: Nur für 17 Prozent der Abiturienten mit guten Noten ist laut dieser Studie der Lehrerberuf eine Option.
Für Frauen ist er allerdings noch eher interessant als für Männer, erklärt der Chef des Philologenverbandes in NRW, Peter Silbernagel. „Aus dem Blickwinkel von Frauen ist das eine Tätigkeit, in der sich Familie und Beruf vereinbaren lassen. Viele Frauen interessieren sich für eine Teilzeit-Beschäftigung, und im öffentlichen Dienst ist Teilzeit ganz gut ausgestaltet“, so Silbernagel.
Auch interessant
Die Industrie fängt die besten Talente ein
Aus Sicht von Männern sehe das allerdings anders aus. Gerade in Berufskollegs oder in den „Mint“-Fächern (Mathematik und Naturwissenschaften) sei der Männer-Mangel groß. „Es gibt viele Talentsucher aus der Industrie, die die jungen Akademiker schon in der Hochschule abwerben“, sagte der Verbands-Vorsitzende.
Die Bezahlung sei auch kein Argument dafür, sich für den Lehrerberuf zu entscheiden. Ingenieure, Physiker und Mathematiker könnten in der freien Wirtschaft erheblich mehr verdienen. Dass der Lehrerberuf heute anstrengender und fordernder sei denn je, mache den Einstieg noch unattraktiver. Und die Politik habe zuletzt wenig unternommen, um dem Lehramt einen besseren Ruf und bessere Arbeitsbedingungen zu bescheren.
In Kitas und Grundschulen arbeiten ohnehin vor allem Frauen
Eine Konsequenz dieser Entwicklung sei, so Silbernagel, dass in den Klassen „Vaterfiguren“ fehlten. Dabei reagierten Kinder in der Regel sehr positiv auf männliche Lehrer. Udo Beckmann vom Verband Bildung und Erziehung glaubt ebenfalls, dass Kinder gleichermaßen männliche wie weibliche Bezugspersonen brauchen. „Vor dem Hintergrund der steigenden Zahl alleinerziehender Mütter kommen Kinder häufig erst sehr spät das erste Mal mit einem männlichen Rollenvorbild in Kontakt.
In Kitas und Grundschulen ist der Großteil der Lehrkräfte weiblich, und auch in den Sekundarstufen 1 und 2 verstärkt sich dieser Trend zunehmend“, so Beckmann. Dabei gehe es aber „nicht darum, die hoch qualifizierte Arbeit der Lehrerinnen abzuwerten“, macht Beckmann klar. „Wichtig ist jedoch, dass Kinder mit beiden Geschlechtern als Rollenvorbilder Umgang haben.“