Berlin. . Nach der Gewalt in Köln stellt sich der Verfassungsschutz auf neue Ausschreitungen ein, insbesondere zwischen Salafisten und Anhängern der kurdischen PKK. Beide Gruppen rekrutieren in Deutschland Kämpfer, wobei die Salafisten verstärkt Zulauf von Tschetschenen haben, die als „besonders gewaltbereit“ gelten.

Der Verfassungsschutz warnt vor einer Eskalation der Auseinandersetzungen auf deutschem Boden. „Der Konflikt in Syrien und dem Irak spiegelt sich auch in Deutschland wider“, warnte der Präsident des Bundesamts, Hans-Georg Maaßen. Er sieht Anlass zur Sorge, „dass sich die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Extremisten auf unseren Straßen weiter aufschaukeln“.

Das gilt umso mehr, als ein Ende des Krieges mit der Terrormiliz „Islamischer Staat“ nicht in Sicht ist. In den Kämpfen um die belagerte Stadt Kobane werde deutlich, dass die Terrormiliz weiter in der Lage sei, Offensivoperationen durchzuführen, heißt es in einer Analyse des Bundesnachrichtendienstes.

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Angesichts des Konfliktes in Syrien dürfe man die Gewalt durch Hooligans und Rechtsextremisten wie in Köln aber nicht unterschätzen, mahnte derweil der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Oliver Malchow, im Gespräch mit der WAZ. Er glaube nicht, dass Köln „eine singuläre Veranstaltung war“.

IS-Terroristen rekrutieren immer mehr Anhänger in Europa

2011 waren es noch 3800 Personen – inzwischen wird die Zahl der Salafisten in Deutschland auf 6700 geschätzt. Und Ende des Jahres könnten es bereits 7000 sein. Das Dunkelfeld ist hoch und dürfte weiter wachsen. Die Fieberkurve der Extremisten kennt nur eine Richtung: Sie weist nur nach oben, vor allem seit dem 29. Juni. Das war der Tag, als Abu Bakr al-Baghdadi ein Kalifat ausrief, sich zum Kalifen ernennen ließ. Die Erfolge des Islamischen Staates (IS) sind mit ihm verbunden.

Baghdadis Milizen gelten als bedrohlicher als Al-Kaida, weil ihre Erfolge einen beklemmenden Sog entwickeln: Sie ziehen immer mehr Freiwillige an, die im Irak und in Syrien kämpfen wollen; die ihre Vorstellung eines islamischen Lebens verwirklichen wollen.

Professionelle Propaganda

Es gibt eine breite Welle der Solidarisierung in der muslimischen Welt, in Algerien, Tunesien, Libyen, Ägypten, Saudi-Arabien, Iran, Afghanistan, Pakistan, Indonesien. Die IS-Propaganda ist professionell. Die Gewaltszenen verbreiten sich schnell in sozialen Netzwerken; mit deutschen Untertiteln für Konvertiten, die kein Arabisch verstehen.

In Europa hat der IS 3300 Kämpfer rekrutiert, verhältnismäßig viele in Belgien, Dänemark, Österreich und Schweden, in absoluten Zahlen am meisten in Großbritannien und in Deutschland. Das größte Potenzial dazu bietet die Salafistenszene an. Es gibt 100 Netzwerke, Köln/Bonn, Frankfurt, Berlin sind die Hotspots.

„Aktuell wenden sich in Deutschland lebende Tschetschenen verstärkt zum Salafismus hin“, beobachtet der Präsident des Kölner Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen. Sie seien „sehr aktiv“. Und vor allem „besonders gewaltbereit“.

Der Verfassungsschutz weiß von 450 ausgereisten Dschihadisten. Etwa 150 sind wieder zurückgekehrt. Bei 25 von ihnen ist man sich sicher, dass sie Kampferfahrungen gemacht haben, von weiteren 50 vermutet man es. Insgesamt hat der IS nach Schätzungen der Geheimdienste 15 000 bis 20 000 Kämpfer. Und nichts spricht dafür, dass der Spuk bald zu Ende sein könnte.

Im Irak seien die Sicherheitskräfte trotz der internationalen Luftangriffe „nicht in der Lage, den IS flächendeckend zurückzudrängen“, analysiert der Bundesnachrichtendienst (BND). Präsident Gerhard Schindler spricht von einem politischen Vakuum. Nicht viel besser ist die Lage in Syrien, wo sich das Regime auf wenige Zentren beschränke, während sich der IS im Osten „ohne entscheidende Gegenwehr ausbreite“.

Auch Kurden werben Kämpfer an

So ungebrochen wie der Erfolg des IS ist, so anhaltend übt er eine Faszination auf Salafisten aus. „Es ist eine Emotion zwischen ethnischen Gruppen da“, beobachtet Oliver Malchow, Chef der Gewerkschaft der Polizei. Verfassungsschützer Maaßen spricht sogar davon, dass sich der Krieg in Deutschland widerspiegele. Tatsächlich beobachtet er, wie seit Sommer die kurdische PKK verstärkt Kämpfer für die Schlacht um Kobane anwirbt. Allein im Oktober rief die PKK in Deutschland über 300 Mal zu Kundgebungen auf.

Maaßen befürchtet, dass sich die Gewalt zwischen den verfeindeten Extremisten auf deutschen Straßen aufschaukeln könnte, zwischen Kurden und IS-Anhängern. Schon die Krawalle zuletzt in Köln hätten gezeigt, wie brisant die Sicherheitslage geworden sei. „Meine Kollegen“, so Malchow, „kommen immer dann auf den Plan, wenn gesellschaftlich was schiefläuft.“ Er wünscht sich mehr Prävention, weiß aber, „es gibt keine schnelle Lösung.“