Essen. Deutschland ist nicht genug auf den Gau in einem Atomkraftwerk vorbereitet. Im Ernstfall würden Hunderttausende Menschen in NRW kontaminiert werden.

Das Scheitern einer Alarm-Übung von Bund und Ländern nach einem simulierten schweren Atomkraftwerks-Unfall im Herbst 2013 wird wohl Konsequenzen haben. Die Bundesregierung will das Strahlenschutz-Vorsorgegesetz aus dem „Tschernobyl-Jahr“ 1986 modernisieren. Das NRW-Umweltministerium fordert den Bund auf, Daten über radioaktive Belastungen schneller zur Verfügung zu stellen.

Bei der Übung am 17. und 18. September 2013 hatte es fünf Stunden gedauert, bis die Bevölkerung nach der angenommenen drohenden Kernschmelze im niedersächsischen Reaktor Lingen unweit der nördlichen Landesgrenze vom Heranziehen der radioaktiven Wolke informiert wurde. In einem Ernstfall hätte die Wolke längst Bielefeld und Münster erreicht und dort Hunderttausende kontaminiert.

Unklare Zuständigkeiten führen zu Katastrophe

„Aus der Sicht des in der Übung schnell radiologisch betroffenen Landes Nordrhein-Westfalen erfolgte die Bereitstellung von Prognose und Lage durch den Bund zu langsam“, heißt es in dem NRW-Papier, das dieser Redaktion vorliegt.

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Über die Ursachen der Verzögerung, über die die „taz“ detailliert mit Protokollen berichtet hatte, gibt es keinen Disput. Sie sind eher banal. Die Übungsteilnehmer - 200 Beamte der Krisenstäbe von Bund und Ländern – haben an den beiden Tagen nicht nur ergebnislos und unmoderiert geredet. Man fiel sich auch ins Wort, stritt über Zuständigkeit und gab Informationen verzögert weiter. Die Gespräche während der Telefonkonferenzen blieben durch häufige Wackelkontakte zum Teil unverständlich.

Information in Zukunft wohl über Soziale Netzwerke

Bessere Technik, bessere Moderation und bessere Vorbereitung solcher Veranstaltungen empfiehlt deshalb das Düsseldorfer Ministerium: „Die Übung hat gezeigt, dass eine kurzfristige Abstimmung von Empfehlungen bzw. Maßnahmen zwischen allen Ländern schwierig ist, wenn sie nicht ausreichend langfristig vorbereitet ist.“ Es schlägt außerdem vor, die Menschen über die Sozialen Netzwerke zu informieren.

Folgen der Kritik keine Verbesserungen, droht Nordrhein-Westfalen damit, dass das Land bei einem Ernstfall auf eigene Faust handeln und die Bevölkerung im Alleingang alarmieren („die Länder selbst handeln“) würde.

Gesetz soll überarbeitet werden

Das Bundesumweltministerium ist einsichtig: Das Strahlenschutzvorsorgegesetz, ein Werk aus dem Tschernobyl-Jahr 1986, soll auch in seinem Notfallplanungs-Teil aktuell angepasst werden. Über das Wie dürfte es allerdings noch Debatten geben. Nach dem bestehenden Gesetz unterhält der Bund ein flächendeckendes Netz zur Messung von Radioaktivität.

Er muss in einem Ernstfall die Daten den Ländern übermitteln und erst im Einvernehmen mit diesen entscheiden, welche Verhaltensweisen der Bevölkerung empfohlen werden. Denkbar ist, dass die Länder eine zentralere Notfall-Planung ablehnen.

EnergieGröße der Schutzzonen soll verdoppelt werden

Eine andere Konsequenz zieht NRW bereits. Es berücksichtigt einen Vorschlag der Reaktorsicherheitskommission und schneidet die Sicherheitszonen neu.

Um vor Auswirkungen bei Unfällen in den das Land umgebenden drei Kernkraftwerken Lingen und Grohnde (Niedersachsen) und Tihange (Belgien) besser zu schützen, soll statt der 50-Kilometer-Schutzzone eine von 100 Kilometern gelten.

Jodtabletten gegen den Super-Gau

In ihr werden unmittelbar nach einem Zwischenfall Jodtabletten verteilt. Das betrifft die Regionen Münster, Bielefeld, Hamm, Dortmund, Recklinghausen, Herne, Mönchengladbach und Aachen. Die Anwohner eines 20-Kilometer-Kreises um ein KKW werden zudem im Ernstfall innerhalb von 24 Stunden, in einem Umkreis von fünf Kilometern innerhalb von sechs Stunden evakuiert.

Während die gescheiterte Übung im Lingener Reaktor Emsland der Öffentlichkeit weitgehend verschwiegen wurde, lobten sich die lokalen Einsatzkräfte zwölf Tage später, als an gleicher Stelle eine Feuerschutzübung glatt verlief. Die RWE-Werksfeuerwehr hatte mit den örtlichen Kollegen getestet, wie ein Feuer im Reaktorgebäude zu löschen ist: „Trotz des anspruchsvollen Szenarios konnte die Lage schnell unter Kontrolle gebracht werden“, hieß es ganz stolz.