Kobane/Berlin. Kurdische Milizen leisten heftige Gegenwehr gegen das Vorrücken der Terror-Gruppe “Islamischer Staat“ (IS) in Syrien und im Irak. Doch ihre Bastion Kobane in Syrien droht in die Hand der IS-Terroristen zu fallen. In Sichtweite stehen Truppen des Nato-Landes Türkei - jenseits der Grenze.
Die Einnahme der seit Tagen umkämpften syrischen Kurdenstadt Kobane durch die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) scheint nur noch eine Frage der Zeit. Trotz Luftangriffen der USA und arabischer Verbündeter und massiver Gegenwehr kurdischer Kämpfer rückten die IS-Milizen am Dienstag weiter in die strategisch wichtige Stadt an der Grenze zur Türkei ein. Jenseits der Grenze beobachteten türkische Truppen das Geschehen.
"Kobane ist dabei zu fallen", sagte der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan vor syrischen Flüchtlingen. Die Luftunterstützung für die kurdischen Verteidiger reiche nicht aus. "Nur durch Luftangriffe können Sie diesem Terror kein Ende setzen", sagte Erdogan laut der Nachrichtenagentur Anadolu.
Erdogan forderte erneut eine Flugverbotszone in Syrien. Gemäßigte Kämpfer der Opposition müssten gestärkt werden. Diese Forderungen richten sich allerdings kaum gegen den IS, der keine Luftwaffe besitzt, sondern eher gegen die - vom IS bekämpfte - syrische Regierung von Präsident Baschar al-Assad.
IS-Kämpfer haben offenbar mindestens drei Stadtteile eingenommen
Zuvor hatten IS-Kämpfer laut syrischen und kurdischen Aktivisten mindestens drei östliche Stadtteile von Kobane eingenommen. Sollten die Dschihadisten die ganze Stadt erobern, hätten sie einen langen, durchgängigen Grenzstreifen zum Nato-Land Türkei unter Kontrolle. Die im syrischen Bürgerkrieg stark gewordene Terrormiliz beherrscht bereits weite Landstriche in Syrien und im Irak.
Das türkische Parlament hatte der Regierung in Ankara am Donnerstag das Mandat erteilt, militärisch gegen Terrorgruppen in Syrien und im Irak vorzugehen. Das richtet sich nicht ausdrücklich gegen den IS, sondern auch gegen kurdische Gruppen wie die PKK, die von der Türkei als terroristisch eingestuft werden. Bislang griffen die an der Grenze stationierten türkischen Truppen nicht in die Kämpfe ein.
185.000 Menschen flohen in die Türkei
Der Organisator der Verteidigung von Kobane, Ismet Hassan, sagte der dpa, nur wenige Zivilisten seien in Kobane (arabisch: Ain al-Arab) geblieben. Die Kurden hätten mehrere Geländewagen mit aufmontierten Maschinengewehren erbeutet. Nach Angaben der syrischen Menschenrechtsbeobachter wurden seit Beginn der IS-Offensive vor drei Wochen mehr als 400 Menschen getötet - zumeist Kämpfer beider Seiten.
Kobane ist die letzte Bastion in einer Enklave, die bisher von den kurdischen Volksschutzeinheiten kontrolliert wurde. IS-Dschihadisten haben dort seit September mehr als 300 Dörfer eingenommen, 185.000 Menschen flohen in die Türkei.
Der UN-Syrienvermittler Staffan de Mistura rief die Weltgemeinschaft zur Hilfe bei der Verteidigung Kobanes auf. "Wir alle werden es zutiefst bereuen, wenn der IS in der Lage ist, eine Stadt zu übernehmen, die sich selbst mit so viel Tapferkeit verteidigt hat, das aber bald nicht mehr kann. Wir müssen jetzt handeln", sagte de Mistura laut Mitteilung der Vereinten Nationen in Genf.
Tausende demonstrierten in Europa
Derweil wurden ein Franziskaner-Pater und mehrere Christen einer Gemeinde in Syrien von der radikal-islamischen Al-Nusra-Front entführt. Die Kustodie Heiliges Land berichtete am Dienstag auf ihrer Website, die Al-Kaida-nahen Kämpfer hätten Pater Hanna Dschalluf und die anderen Männer am Sonntag aus der Ortschaft Kunaja verschleppt. Nonnen aus dem Ordenshaus hätten bei Dorfbewohnern Schutz gesucht.
Angesichts der verzweifelten Lage in Kobane gingen in Europa Tausende Menschen auf die Straßen. In einigen Städten verschafften sich kurdische Demonstranten und ihre Unterstützer Zutritt zu öffentlichen Gebäuden wie Funkhäusern oder Parlamenten. Protestaktionen gab es unter anderem in Den Haag, Brüssel, Paris, Straßburg, Basel und Wien sowie in Berlin, Hamburg, Bremen, Hannover, Düsseldorf, Dortmund, Münster, Frankfurt/Main und Stuttgart. Manche Protestierer trugen Fahnen linksextremistischer Organisationen und Bilder des in der Türkei inhaftierten früheren PKK-Chefs Abdullah Öcalan.
Im Irak bombardierten erstmals niederländische Kampfflugzeuge IS-Fahrzeuge, wie das Verteidigungsministerium in Den Haag mitteilte. Die Niederlande beteiligen sich mit sechs Kampfflugzeugen am Luftkrieg der USA gegen die Sunnitenmiliz, allerdings nicht in Syrien, sondern nur im Irak.