Düsseldorf. .

Ralf Jäger steht am Dienstagmittag im dunkel gekachelten Foyer seines Ministeriums, das den Charme eines 70er-Jahre-Hallenbades verströmt. Ein Dutzend Kameras und eine Traube aus Berichterstattern haben sich vor ihm aufgebaut. Der Innenminister soll erklären, wie es zu Misshandlungen in NRW-Flüchtlingsheimen kommen konnte. Irgendwann zieht Jäger die Stirn kraus, formt die Augenpartie zu entschlossenen Schlitzen und fährt mit der rechten Hand in die Innentasche seines schmal geschnittenen Anzugs. „Da“, sagt er und hält das Foto einer Misshandlungsszene hoch, „sind Kriminelle am Werk.“

Wer Jäger an diesem Tag erlebt, wie er wortreich einen bedrohlichen Skandal von sich und seinem Amt fernzuhalten versucht, denkt unwillkürlich fünf Jahre zurück, als er noch in der Opposition saß. Gnadenlos hätte der Mann fürs Grobe in der SPD-Fraktion seinen FDP-Vorgänger Ingo Wolf ins Visier genommen, seinen Rücktritt gefordert, mit einem Untersuchungsausschuss gedroht. Sein Hang zur schnellen, mitunter unüberlegten Attacke brachte ihm unter Journalisten damals den Spitznamen „Jäger 90“ ein. Wohl niemand hätte darauf gewettet, dass Hannelore Kraft ihm nach ihrem Wahlsieg im Jahr 2010 einen ihrer wichtigsten Kabinettsposten anvertrauen würde.

Vom Heißsporn zum staatstragenden Politiker

Doch der gebürtige Meidericher vollzog rasch eine wundersame Wandlung vom Heißsporn zum staatstragenden Politiker. Tragischer Zufall, dass ihm dabei eine Katastrophe in seiner Heimatstadt zur Hilfe kam. Erst wenige Tage im Amt, musste Jäger als zuständiger Minister das Loveparade-Unglück mit 21 Toten erleben – und politisch mit den Folgen umgehen. „Der Beginn prägte die ersten Monate meiner Amtszeit“, sagt er rückblickend. Es war auch die Zeit seines ersten Fehlers, als er die Polizei reflexartig von jeder Mitschuld freizusprechen versuchte. Das ist bis heute nicht geklärt.

Der 53-jährige Vater dreier Kinder hat sich als Regierender in die Disziplin genommen, ohne seinen markigen Ton abzulegen. Als medientauglicher Minister zieht er in den Kampf gegen Rechtsextremisten, verbietet gefährliche Rockerbanden und Salafisten - und inszeniert sich stets öffentlich. „Wir werden gewaltbereiten Neonazis auf die Springerstiefel steigen“ - so lautet ein typisch martialischer Jäger-Satz. In solchen Momenten kommt wieder der unnachgiebige, kompromisslose Verfechter des Rechtsstaats zum Vorschein.

Bisher eine pannenfrei Bilanz

Dennoch, ein „Sheriff“ will er nicht sein. Wie kein zweiter deutscher Innenminister forcierte Jäger zwar den Einsatz gegen gewalttätige Fußballfans, legte sich mit dem DFB und Proficlubs an; und doch verblüffte er gegen Widerstände aus dem Gewerkschaftslager mit der liberalen Strategie, die Polizei müsse bei Bundesligaspielen weniger Präsenz zeigen. Der in NRW ersonnene „Blitzmarathon“ bringt ihm regelmäßig den Vorwurf ein, er betreibe die Jagd auf Raser in erster Linie als PR-Masche. Doch scheint sie so erfolgreich, dass sie bundesweit von seinen Amtskollegen kopiert wird.

Bisher hat Jäger wenig anbrennen lassen, obwohl er Chef eines riesigen Ressorts ist. Polizei und Verfassungsschutz sind in seinem Haus stets Garanten für politisch brisante Themen. Zudem verantwortet er die komplizierten Kommunalfinanzen, was viel Ärger und wenig Applaus verspricht. Die FAZ bescheinigte ihm dennoch nach vier Jahren im Amt eine „fast pannenfreie Bilanz“ als wichtigster Innenpolitiker der SPD. Das war vor dem Skandal in den Flüchtlingsheimen.

Jäger wird stets als Kraft-Nachfolger gehandelt

Für Jäger, der im Landtag der Opposition nur wenig Angriffsflächen bietet und sich über NRW hinaus einen Namen gemacht hat, geht es jetzt auch um die politische Zukunft. Denn wird in der SPD perspektivisch über die Kraft-Nachfolge an der Regierungsspitze geredet, die irgendwann einmal ansteht, so fällt sein Name als erster.

Jäger, gelernter Groß- und Außenhandelskaufmann und als Kind in der Stahlarbeiter-Kneipe seiner Mutter fürs Leben geschult, verfügt über einen sicheren politischen Instinkt. Er weiß, wann man sich auf Vorlagen des Ministerialapparats verlassen sollte und den eigenen Geltungsdrang zügeln muss. Als sich am Dienstag der für Asylfragen zuständige Regierungspräsident Gerd Bollermann an seiner Seite vor laufenden Kameras in manche Widersprüche verstrickt, tippelt der Innenminister unmerklich aus dem Bild.