Berlin. . Wenn es bei einer Amtszeit bleibt, dann hat Joachim Gauck in diesen Septembertagen die Hälfte seiner fünf Jahre als Bundespräsident noch vor sich. Deutschlands Rolle in der Welt ist zu seinem zentralen Thema geworden. Er riskiert damit einiges. Doch die Bevölkerung würde eine zweite Amtszeit begrüßen.
Der Bundespräsident redet gern und viel, aber zu einem Thema schweigt er eisern: Wie lange will er eigentlich Staatsoberhaupt der Deutschen bleiben? „Netter Versuch“, wehrt Joachim Gauck milde lächelnd alle Fragen ab, ob er wohl noch eine zweite Amtszeit dranhängen wolle. Grünen-Chef Cem Özdemir hat ihn schon öffentlich zum Weitermachen aufgefordert, auch die Koalitionsparteien würden eine erneute Kandidatur gewiss unterstützen.
Immerhin eine knappe Mehrheit der Bundesbürger wünscht sich, dass Gauck 2017 erneut kandidiert. Dann allerdings wäre er 77 Jahre alt, deshalb weicht Gauck noch aus. Aber die Frage wird drängender: In dieser Woche hat er bereits die Halbzeit seiner fünfjährigen Amtsperiode erreicht. Und nicht nur 80 Prozent der Deutschen bewerten seine Arbeit als gut, auch Gauck selbst wirkt zufrieden in Schloss Bellevue. Er sei jetzt vertraut mit den Möglichkeiten des Amtes, sagt der Präsident, er fühle sich sicher – ohne sich selbst fremd geworden zu sein.
Das beschädigte Amt
Die Zwischenbilanz: Er hat dem Amt, das nach dem Scheitern seines Vorgängers Christian Wulff und dem unglücklichen Abgang von Horst Köhler kaum noch Ansehen genoss, die Würde zurückgegeben. Und auf internationalem Parkett sind Gauck und seine Lebensgefährtin Daniela Schadt souveräne, herzliche Repräsentanten ihres Landes.
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Beim Besuch in den Niederlanden etwa ließ sich Außenminister Frans Timmermans kürzlich zu der Eloge hinreißen, Gauck sei „einer der seltenen Schätze der europäischen Geschichte.“ Dabei ist er, einer gelegentlichen Eitelkeit zum Trotz, volksnah geblieben: „Ich bin ein Bürgerpräsident, weil ich von unten komme.“
Die Wandlung Gaucks
So einfach schien das anfangs nicht: „Der Gauck zu Beginn seiner Präsidentschaft musste sich erst mal vorsichtig an das Amt herantasten“, räumt der 74-Jährige ein. 300 Reden hat das Staatsoberhaupt schon gehalten, im ersten Jahr verhallte vieles ohne große Resonanz, was den früheren Pastor irritierte. Der groß angelegte Versuch, sich in die Debatte um die Zukunft Europas einzuschalten, verpuffte. Aber nach und nach fand er den Mut, unbequeme Reden zu halten, ohne die Grenzen des Amtes zu überschreiten.
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Für alle sichtbar wurde die Wandlung auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Januar, als Gauck mehr internationale Verantwortung Deutschlands verlangte, Militäreinsätze eingeschlossen. Da war ein großes Thema gefunden, das wenige Monate später mit den Krisen in der Ukraine und im Irak ungeahnte Aktualität gewann. Es fügt sich gut, dass das Gedenkjahr 2014 dazu allerlei Redeanlässe bietet – gerade erst am 1. September in Danzig, als Gauck zum Jahrestag des Weltkriegsbeginns harsche Warnungen an den russischen Präsidenten Wladimir Putin richtete.
Es ist seine Kunst, eigene Akzente zu setzen, ohne Nebenaußenpolitik zu betreiben. Die Kritik an Putin war mit Angela Merkel abgestimmt. Die Münchner Rede passte nicht zufällig zu Äußerungen von Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der einen guten Draht zu Gauck hat. Der Präsident spricht auch dort Klartext, wo es sich die Regierung im diplomatischen Tagesgeschäft lieber versagt. Nicht nur rhetorisch ist der Theologe das Gegenstück zur Kanzlerin, die gern vorsichtig im Vagen bleibt. Die Arbeitsteilung funktioniert. Obwohl Merkel Gaucks Wahl 2010 blockierte und auch beim zweiten Anlauf im Frühjahr 2012 gern verhindert hätte, ist ihr Verhältnis heute stabil gut.
„Das beste Land, das wir je hatten“
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Erstaunlicher ist, dass die Bürger ihren Präsidenten schätzen, obwohl er gern mal gegen die Mehrheitsmeinung anredet. Er wolle „Debatten anstoßen“, erklärt Gauck. Ihn treibt die Sorge, dass die Deutschen es sich allzu bequem einrichten. „Wir sind keine Insel, in der Welt ist eine Haltung der Verantwortung wichtig.“ Stolz ist er auf das Land ( „das beste, das wir je hatten“), leidenschaftlich wirbt er für einen „aufgeklärten Patriotismus“. Sein Plädoyer, im Kampf für Menschenrechte müsse man manchmal „auch zu den Waffen greifen“, hat ihm viel Kritik eingebracht, die Linke beschimpfte ihn als „Kriegshetzer“.
Neugierig wirkt er und begeisterungsfähig, jedenfalls in der Öffentlichkeit. Wegbegleiter, die ihn privat kennen lernten, schildern Gauck auch als wortkarg, schroff und selbstverliebt. Aber, sagt der Publizist Michael Naumann: „Er ist kein Mensch, der es mag, dass man vor ihm auf die Knie geht.“