Cardiff. . Gut 65 Jahre nach ihrer Gründung tritt die Nato in eine neue Phase ein: Zur Notwendigkeit, auf Bedrohungen wie die Terror-Miliz IS zu reagieren, kommt die Rückbesinnung auf die Kernaufgabe kollektive Verteidigung. Im Verhältnis zu Russland muss der Nato-Gipfel Weichenstellungen vornehmen.
„Ich bin vorsichtig optimistisch“, sagte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko nach einer Zusammenkunft mit den Staats- und Regierungschefs der 28 Alliierten. Er werde für ein Ende der Kämpfe tun, was in seinen Kräften stehe. Die territoriale Unversehrtheit und Souveränität seines Landes sei aber nicht verhandelbar. Nach dem Eindruck der Bundeskanzlerin Angela Merkel ist sich Poroschenko darüber im klaren, dass er die Auseinandersetzung mit den prorussischen Separatisten militärisch nicht gewinnen kann. „Ich habe gespürt, dass er eine politische Lösung anstrebt.“
Der scheidende Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen ist skeptisch. Nach aller Erfahrung mit Kreml-Herrscher Vladimir Putin müsse man Sorge haben, ob die Bereitschaft der Rebellen zur Waffenruhe nicht wieder nur ein Täuschungsmanöver sei. „Was zählt, ist, was tatsächlich passiert.“ Kann die Ukraine in näherer Zukunft Mitglied der Allianz werden und damit in den Genuss der Beistandsgarantie kommen?
Darüber gehen die Meinungen weit auseinander, nicht nur in der Nato. Poroschenko ist sehr viel zurückhaltender als sein Premier Jazenjuk: Erst müsse sein Land die notwendigen umfassenden Reformen erledigen. „Dann wird das ukrainische Volk über das Wann und Wie entscheiden“. Rasmussen pflichtete bei. Merkel schob einen Riegel vor: „Es geht nicht um eine Mitgliedschaft!“
Die größte Anzahl Krisen seit dem Kalten Krieg
Die Staats- und Regierungschef der Allianz und ihre Kollegen aus mehr als zwei Dutzend Partnerstaaten tagen im vornehmen Resort Celtic Manor, einer der traditionsreichsten Golf-Anlagen auf den britischen Inseln. US-Präsident Barack Obama, ein passionierter Golfer, wird freilich auf eine Runde in den sanften Hügeln bei Cardiff verzichten müssen. Die Zeiten, sie sind nicht so.
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Wie sie sind, sagte Rasmussen: „Wir haben es mit der größten Anzahl Krisen seit dem Kalten Krieg zu tun … Jenseits unserer Grenzen herrscht ein Klima des Chaos, das direkte Auswirkungen auch für uns hat. Das reicht von kriminellen Regimen und gewalttätigen Extremisten bis hin zu verheerenden Cyber-Angriffen.“ Deswegen müsse die Allianz “schneller, fitter und flexiber” werden. Dass ein Übergang fällig war, hatten die Gipfel-Planer bereits gewusst, als von Krieg in der Ost-Ukraine und systematischen Enthauptungen im „Kalifat“ des Islamischen Staates in Irak/Syrien noch keine Rede war. Welche dramatischen Formen der Start in die nächste Etappe annehmen würde, ahnten sie nicht.
Wie muskulös soll die demonstrative Wehrhaftigkeit werden?
Mit dem Auslaufen des Kampfeinsatzes am Hindukusch Ende dieses Jahres endet „eine Ära der Operationen“: Bosnien, Kosovo, Libyen, Afghanistan. Auf die ISAF-Operation soll dort eine 14.000 Mann starke Aufbau-Mission namens „Resolute Support“ folgen. Der Plan hängt aber wegen des Streits um die Nachfolge des Präsidenten Karsai in der Luft. Die beiden rivalisierenden Kandidaten signalisierten aber dem Gipfel das bevorstehende Ende ihres Zanks und die Bereitschaft, dann zügig die rechtlichen Voraussetzungen für die weitere Stationierung internationaler zu schaffen.
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Wieviel Rückwendung im Neustart der Nato steckt, hängt in erster Linie von den Beschlüssen zur Unterstützung der Bündnis-Ostflanke und zum Verhältnis zu Russland ab. Damit wollen sich die Nato-Oberen die der Gipfel am Samstag befassen soll. Es geht um eine stärkere Präsenz im Baltikum und Polen. Aber wie muskulös soll die demonstrative Wehrhaftigkeit werden? Und wie radikal wird die bisherige „Partnerschaft“ mit Moskau storniert. Darüber gehen die Ansichten noch scharf auseinander.