Moskau/Kiew. Die Warnungen aus dem Westen haben Staatschef Putin nicht aufgehalten: 1000 russische Soldaten befinden sich nach westlichen Angaben auf ukrainischem Terrain. Zugleich wird der Ton zunehmend schärfer. Moskau vergleicht Kiews Regierungstruppen mit der Wehrmacht. Die EU plant neue Sanktionen
Wegen der Unterstützung Moskaus für die Separatisten in der Ukraine wollen Regierungen der EU-Staaten neue Sanktionen gegen Russland verhängen. Bei einem Treffen der 28 EU-Staaten am Freitag in Mailand bewerteten mehrere Außenminister das Vorgehen Russlands als "Invasion". Die Bundesregierung sprach erstmals von einer "militärischen Intervention" Russlands. Sanktionen werden schon beim EU-Gipfel am Samstag ein Thema sein.
In Berlin erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert, es hätten sich Hinweise auf die Präsenz von Russen und die Verwendung russischer Waffen in der Ukraine verdichtet. "Das alles zusammen addiert sich zu einer militärischen Intervention."
Putins verquere Wehrmachtsvergleiche
Die Nato forderte von Moskau ein Ende von Militäraktionen in der Ukraine, wobei Russland solche Einsätze erneut bestritt. "Wir hören solche Spekulationen nicht zum ersten Mal, aber die USA haben sie nie mit Fakten belegt", sagte Außenminister Sergej Lawrow. Von Washington vorgelegte Satellitenbilder mit angeblichen russischen Truppenbewegungen seien als Beweise ungeeignet.
Kremlchef Wladimir Putin verglich das Vorgehen der ukrainischen Regierungstruppen am Freitag mit dem der Wehrmacht. Die Offensive der Separatisten bezeichnete er als Erfolg und lobte deren Vorgehen in "Neurussland". Die Aufständischen würden damit die ukrainischen Militäreinsätze abwehren, die eine tödliche Gefahr für die Zivilbevölkerung darstellten. Die Taktik der Regierungstruppen "erinnert mich an die der faschistischen deutschen Truppen in der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg. Großstädte wurden eingekesselt und durch gezielten Beschuss zerstört, samt Einwohnern", sagte Putin.
Ukraine will weitere Annäherung an die Nato
Der Nato zufolge sollen im Osten des Landes mehr als 1000 russische Soldaten im Einsatz sein. "Wir verdammen in schärfster Weise, dass Russland fortgesetzt seine internationalen Verpflichtungen missachtet", sagte Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen am Freitag in Brüssel. Offen reagierte Rasmussen auf die Ankündigung des ukrainischen Regierungschefs Arseni Jazenjuk, wonach die Ukraine wieder auf Nato-Kurs gehe.
US-Präsident Barack Obama machte Moskau für die Gewalt verantwortlich, schloss ein militärisches Eingreifen aber aus. Es gebe Wege, die gegen Russland verhängten Sanktionen zu erweitern.
Steinmeier bleibt vorsichtig
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Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) vermied in Mailand den Ausdruck "Invasion". Die "gefährliche Lage" in der Ostukraine befinde sich "jetzt in einer neuen Dimension", sagte er. Es müsse einen Dialog zwischen der Ukraine und Russland geben. Die beobachteten Grenzverletzungen "lassen befürchten, dass die Lage zunehmend außer Kontrolle gerät", sagte Steinmeier. Er warnte vor einer unmittelbaren militärischen Konfrontation ukrainischer und russischer Streitkräfte.
Die EU hatte Ende Juli den Zugang russischer Banken zu den EU-Finanzmärkten erschwert, bestimmte Hochtechnologie-Exporte verboten und Ausfuhrverbote gegen Spezialgeräte zur Ölförderung verhängt. "Es kann jetzt nicht das Gleiche sein, es muss etwas anderes sein", sagte der schwedische Außenminister Carl Bildt in Mailand zu möglichen neuen Sanktionen. Der estnische Außenminister Urmas Paet forderte "Sanktionen, die wirklich wehtun". Steinmeier sagte: "Dass die EU-Mitglieder notfalls auch bereit sind, den Druck zu erhöhen, ist hinreichend bekannt."
UNO wirft Separatisten "Terrorherrschaft" vor
Seit Mitte Juli hat sich die Zahl der Toten in der Ukraine nach UN-Angaben auf fast 2600 verdoppelt. Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte warf den Separatisten am Freitag eine Terrorherrschaft in den von ihnen kontrollierten Städten vor. Separatisten hätten Bewohner an der Flucht gehindert und auf fliehende Zivilisten geschossen. Es sei zu Morden, Folterungen und Verschleppungen gekommen. Der ukrainischen Armee werfen die UN-Menschenrechtsexperten den Beschuss ziviler Ziele vor. Sie kritisieren außerdem Massenfestnahmen angeblicher Kollaborateure der Separatisten.
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Der Russlandbeauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler (SPD) befürchtet eine russische Invasion in der Ostukraine. "Die zuletzt in der Gegend von Mariupol beobachteten Bewegungen lassen die Deutung zu, dass Moskau einen Korridor zur Krim plant. Zumindest kann man eine solche Absicht nicht ausschließen". Russland hat die ukrainische Schwarzmeer-Halbinsel bereits annektiert.
"Sanktionen werden Putin nicht stoppen"
Mit Blick auf den EU-Gipfel mahnte Erler zugleich: "Da (Russlands Präsident Wladimir) Putin aber unter allen Umständen entschlossen ist, die Separatisten vor einer militärischen Niederlage zu bewahren, wird er sich davon auch von Sanktionen nicht abhalten lassen."
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Erler erklärte, die politische Katastrophe für Russland sei ohnehin schon eingetreten. Das Land sei international weitgehend isoliert, "weil immer deutlicher wird, dass es illegal militärisch in der Ukraine interveniert". Zwar genieße Putin weiter große Popularität in der russischen Bevölkerung. Es gebe in Moskau aber große Frustration darüber, dass die eigene Hoffnung nicht Realität geworden sei, dass sich 11 von 24 ukrainischen Regionen zu einem autarken Gebilde zusammenschließen und sich zur russischen Welt bekennen würden.
Zuletzt hatte die EU Ende Juli Sanktionen gegen Russland verhängt. Unter anderem wurde der Zugang russischer Banken zu den Kapitalmärkten der EU erschwert, ein Waffenembargo und ein Ausfuhrverbot für zivil wie militärisch nutzbare Güter an die russischen Streitkräfte verhängt und ein Lieferstopp für Spezialgeräte zur Ölförderung erlassen.
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen sagte, im Moment habe man "kein klares Lagebild" über die Situation in der Ukraine. Der Westen müsse jetzt Ruhe bewahren, den Überblick behalten und "standfest" in seiner Position sein. (dpa)