Berlin. . Jeder überwacht anscheinend jeden: Merkels Empörung nach der NSA-Spionage-Affäre erscheint nun in einem anderen Licht. Denn der Bundesnachrichtendienst (BND) hat offenbar Hillary Clinten und zuletzt auch die Türkei abgehört. Jetzt soll der BND die Spionage beim Nato-Bündnisspartner erklären.
Thomas de Maizière (CDU) hat sich geirrt. Als Anfang Juli ein Doppelagent aufflog, befand der Innenminister, die verratenen Informationen seien „lächerlich“. Beim Bundesnachrichtendienst (BND) hat man den Schaden schon damals anders beurteilt. Die Ermittler hatten beim Spion einen USB-Stick gefunden, dem man entnehmen konnte, welche Unterlagen er seinen US-Auftraggebern übergeben hatte. Die 218 Papiere waren für die Amerikaner aufschlussreich. Sie erfuhren, dass auch der BND Nato-Partner belauscht und zwei US-Außenminister abgehört hatte.
Nachdem der Informant enttarnt war und die USA für ihn nichts mehr tun konnten, war es eine Frage der Zeit, bis das kompromittierende Wissen bekannt werden würde. Beim BND tickte eine Zeitbombe – nun ging sie hoch. Die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete über die Praktiken, der „Spiegel“ verriet, wer der abgehörte (Nato-)Partner ist: die Türken.
Empörung wirkt nun bigott
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Man erinnert sich an die Empörung von Kanzlerin Merkel, als sie vom Verdacht erfuhr, dass der US-Geheimdienst NSA ihre Handy-Kommunikation abgehört hat: „Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht“. Im Licht der neuen Erkenntnisse wirkt das bigott.
In Washington hieß es im Laufe der NSA-Affäre, dass jeder Staat abhört. Die Amerikaner wollten zur Tagesordnung übergehen. Es ist keine Frage, dass die Indiskretion ihnen nutzt. Der CSU-Politiker Hans-Peter Uhl vermutet eine Retourkutsche: „Es war zu erwarten.“
Linke fordert schnelle Aufklärung
Der BND verwies gestern auf die Bundesregierung – und die ihrerseits auf den Geheimdienst. Die Linke forderte eine schnelle Aufklärung, die Grünen witterten einen „Skandal“. So weit, so rollentreu. Flagge zeigte Patrick Sensburg, der den NSA-Untersuchungsausschuss leitet. Er sagte, „wir nehmen keine ausländischen Politiker gezielt in die nachrichtendienstlichen Arbeiten hinein“. Woher er das weiß, für wen er sprach und wer mit „wir“ gemeint ist, ließ der CDU-Politiker offen. Eine Kommunikationsstrategie der Großen Koalition ist nicht zu erkennen.
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Alle Vorwürfe sind erklärbar. Eine Stärke des BND ist die Funküberwachung in Krisengebieten. Wer im Nahen und Mittleren Osten ein Satelliten-Telefon benutzt und sein Gespräch nicht verschlüsselt, muss damit rechnen, dass er im Netz des BND hängen bleibt – gezielt und auch unbeabsichtigt, wie ein Beifang in der Fischerei.
Hillary Clinton erwischte es 2012, ein Jahr später John Kerry. Beide US-Außenminister waren im Nahen Osten unterwegs. Die Abschriften ihrer Gespräche sollten gelöscht werden. Indes, das „Murphy Prinzip“ kam zum Zug. Das besagt, dass alles, was schief gehen kann, auch schief gegen wird. Mit der Schredderaktion wurde Markus R. beauftragt, der Doppelspion. Man machte – ahnungslos – den Bock zum Gärtner. Der verkaufte sein Wissen an die USA, und die nutzten es offenbar als Druckmittel, um die Deutschen in der NSA-Affäre abzuwimmeln. Habt euch nicht so!
Türkei gehört zum „Auftragsprofil“
Ein versierter BND-Kontrolleur wie Hans-Christian Ströbele mag den Beifang nicht mit den NSA-Praktiken gleichstellen. „Da gibt’s einen substanziellen Unterschied, ob man ausländische, befreundete Regierungschefs gezielt ausspäht, und zwar über Jahre, möglicherweise ein ganzes Jahrzehnt lang“, sagte der Grüne.
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Das Abhören der Türkei geht auf die Bundesregierung zurück. Über welche Themen und Länder der BND Informationen beschaffen soll, definiert das Kabinett. Seit 2009 gehört die Türkei zum „Auftragsprofil“. Man kann die Praxis rechtfertigen: Mit der geographischen Nähe zu Irak und Syrien, mit der Kurdenproblematik, der Schleuserkriminalität und damit, dass die Türkei zur Drehscheibe für Dschihad-Kämpfer geworden ist. Es ist eine Woche her, dass die Bundespolizei einen Gotteskrieger am Frankfurter Flughafen abfing. Zielland: Türkei.
Mit dem türkischen Geheimdienst tauscht sich der BND zwar aus. Aber allein darauf verlassen, mag sich Sensburg nicht. Gerade mit Blick auf das Grenzgebiet zum Irak sagt er, „da würde ich gern auf die eigenen nachrichtendienstlichen Erkenntnisse zurückgreifen“. Die Regierung in Ankara hat aber wohl kaum gewusst, dass ihr Land vom BND ausgespäht wird. Gut möglich, dass sie sich bald in Berlin melden wird. Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht.