Washington. Vor 40 Jahren trat nach dem Watergate-Skandal ein “Betrüger und Lügner“ vom Amt des Präsidenten zurück: Präsident Richard Nixon. Amerika hat sich davon nie erholt. US-Forscher nennen Watergate die “Mutter aller Skandale“.

Graue Betondecken, neonfahles Licht, verrostete Metallgitter. In der Ecke ein tröpfelndes Wasserrohr. In der stickigen Juli-Luft ein Gemisch aus Öl und Benzin. Und niemand, der einem was erzählt: Stellplatz 32 D in der Tiefgarage 1401 Wilson Boulevard in Rosslyn schräg gegenüber vom Weißen Haus auf der anderen Seite des Potomac Rivers ist wirklich nicht das, was man sich unter einem Ort vorstellt, an dem Amerikas Geschichte eine Zäsur erfuhr.

Vor mehr als vier Jahrzehnten trafen sich genau an dieser Stelle Bob Woodward, ein seinerzeit mit 29 Jahren fast noch grünschnabeliger Reporter der „Washington Post“, und sein nach einem zeitgenössischen Porno-Film benannter Informant: „Deep Throat“.

Meist um zwei, drei Uhr in der Früh versuchte Woodward seiner Quelle, die sich erst viele Jahre später als FBI-Vizedirektor Mark Felt entpuppte, über mehrere Monate immer neue Details zu einem mysteriösen Einbruch im Hauptquartier der demokratischen Partei im fünften Stock eines im Halbrund gebauten Apartmenthauses in Washington zu entlocken. Watergate.

Mit Wanzen und Kameras auf frischer Tat ertappt

Am 17. Juni 1972 waren dort Bernard L. Barker, Virgilio R. Gonzales, Eugenio R. Martinez, Frank A. Sturgis und James McCord, allesamt ehemalige oder damals aktive CIA-Agenten, mit Wanzen, Gummihandschuhen, Überwachungskameras und auffallend vielen 100-Dollar-Noten auf frischer Tat ertappt worden. Frank Wills, dem Hausmeister, war ein verräterischeres Klebeband an einer Tür aufgefallen. Er rief die Polizei. Der Rest ist Kriminalgeschichte.

Die Nachwehen der Staatskrise, die daraus erwachsen sollte, traumatisieren Amerika bis heute. Denn Richard Nixon persönlich hatte den Einbruch gebilligt. Und danach die Justiz behindert, das Gesetz gebeugt und am die Verfassung mit Füßen getreten. Seinen verzweifelten Versuchen, das Schurkenstück zu vertuschen, folgte ein beispielloser Akt: Am 9. August 1974 trat zum ersten Mal in der Geschichte ein amerikanischer Präsident von seinem Amt zurück.

Abhören, Menschen verfolgen, der Presse getürkte Informationen unterjubeln, Schwarzgeld verteilen, Wahlkampfveranstaltungen sabotieren, im Privatleben politischer Widersacher herumschnüffeln, Spitzel einschleusen, Dokumente stehlen, Provokateure unter Demonstranten mischen: In seiner Fernsehansprache einen Tag zuvor nahm Nixon mit keiner Silbe all die Straftaten in den Mund, die er zum Teil eigens angeordnet hatte. Voller Pathos erklärte er sein Abdanken stattdessen mit dem fehlenden Rückhalt im Kongress. Dass dort eine wütende parlamentarische Mehrheit parat stand, ihn des Amtes zu entheben und er dieser Schmach zuvorkommen wollte, blieb unerwähnt. Nixon, so sagte er es, wollte mit seinem Abdanken einen „Heilungsprozess“ einleiten. 40 Jahre später sind die Wunden noch immer nicht richtig vernarbt.

Für Forscher ist Watergate die „Mutter aller Skandale“

Wie Professor Julian Zelizer von der Stanford Universität halten viele US-Forscher „Watergate“ für die „Mutter aller Skandale“ der Nachkriegszeit in den Vereinigten Staaten. Das Unbehagen vieler Amerikaner über ihre Regierungen und die dahinter stehenden Apparate habe sich seither tief in das kollektive Bewusstsein eingegraben. Wann immer später neue, zum Teil viel gravierendere Skandale ans Tageslicht kamen - von der Iran-Contra-Affäre über Clinton/Lewinsky bis hin zu Abu Ghraib und den Lügengeschichten rund um den Irak-Krieg: Watergate ist und bleibt das Maß aller Dinge, das Referenz-Produkt einer entfesselten Politiker-Kaste. „Das Schlimmste daran ist, dass es ein Klima geschaffen hat, in dem die Amerikaner ihrer Regierung grundsätzlich misstrauen“, sagt Zelizer, „wenn sich das nicht ändert, werden die Wähler immer einen Schatten von Richard Nixon erkennen, wenn sie ihre politischen Führer betrachten.“

Nixon hat bis zu seinem Tod keine Reue gezeigt 

Der 37. Präsident der Vereinigten Staaten hat bis zu seinem Tod 1994 im Alter von 81 Jahren weder Einsicht noch glaubhaft Reue gezeigt. „Falls einige meiner Urteile falsch waren - und einige waren falsch - wurden sie stets im Bewusstsein dessen gefällt, was ich zum jeweiligen Zeitpunkt als das Beste für die Nation ansah“, sagte er bei seinem Abschied. Watergate hat für ihn „zu einem Teil aus falscher Handlungsweise, zu einem Teil aus Ungeschicklichkeit und zu einem Teil aus politischer Rache meiner Feinde“ bestanden. Sein Fazit: „Ich hätte einen höheren moralischen Standard setzen sollen, der solche Aktionen undenkbar gemacht hätte. Ich tat es nicht. Ich spielte nach den politischen Regeln, die ich vorfand.“

Keine Weichzeichnung, eine perfide Verklärung der Tatsachen. Richard Nixon mag der Mann gewesen sein, der China zum ersten Mal die Hand reichte, den törichten Krieg in Vietnam ausbluten ließ und mit dem Kreml den ersten Abrüstungsvertrag unterzeichnete. Aber Nixon war auch ein notorischer, von Verfolgungswahn und verkümmertem Selbstwertgefühl getriebener Lügner. „I am not a crook“ (Ich bin kein Betrüger), beteuerte im November 1973, „ich habe jeden Cent verdient.“ Kein halbes Jahr später musste er 400 000 Dollar Steuern nachzahlen.

Weil der ebenso misstrauische wie eitle Sicherheitsfanatiker all seine Gespräche im Weißen Haus aufzeichnen ließ, bekam Amerika später die Sünde Watergate im Originalton serviert. Nicht freiwillig. Erst musste der Oberste Gerichtshof die Herausgabe der Tonbänder anordnen. Dem Land gingen umso mehr die Ohren über. „Gottverdammt“, knurrte Nixon an einer Stelle seine Untergebenen an, „holt euch diese Akten, jagt den Safe in die Luft!“ In Gesprächen mit seinen Beratern Robert Haldeman, John Ehrlichman und Henry Kissinger lieferte er früh die Begründung. „Wir haben es mit einem Feind zu tun, einem Verrat. Die anderen setzen alle Mittel ein, also setzen wir auch alle Mittel ein, ist das klar?“.

„Hurensöhne“, „Schwanzlutscher“, „Geldjuden“

Nixon wähnte sich seit der Ellsberg-Affäre als Zielscheibe einer Konspiration der Demokraten. Seine Gegner nannte er „Hurensöhne“, „Schwanzlutscher“ und „Geldjuden“. Daniel Ellsberg, ein Mitarbeiter des Pentagon, hatte der „New York Times“ 1971 geheime Papiere des Verteidigungsministeriums über den Vietnam-Krieg zugespielt. Darin kam zum Vorschein, dass Nixons Vorgänger John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson den Eintritt in den Krieg und viele der darauf folgenden Entscheidungen mit Lügen gerechtfertigt und die Zustimmung der Öffentlichkeit mit absichtsvoller Täuschung erwirkt hatten.

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Nixon fürchtete, dass auch über ihn unschöne Interna herauskommen würden - er unterhielt eine diskrete Einsatztruppe, die „Klempner“, die nicht nur die Anti-Kriegsbewegung sabotierten. Um das zu verhindern, wurden zahlreiche Akteure der Demokratischen Partei mit allen denkbar schmutzigen Tricks überzogen. „Tricky Dick“ persönlich gab Ellsberg, der heute zu den leidenschaftlichsten Verteidigern des NSA-Enthüllers Edward Snowden gehört, zum Abschuss frei. „Es wäre gut, wenn man ihn in die Nähe irgendwelcher kommunistischer Gruppen rücken könnte“, sagte Nixon im Juni 1971 und befahl seinem Justizminister John Mitchell: „Macht ihn fertig in der Presse.“ Watergate war so gesehen nur die logische Folge einer lange praktizierten Politik der Vergeltung eines Mannes und seiner Paranoia.

Dass die Welt von diesen Machenschaften erfuhr, dass am Ende der Watergate-Affäre ein Akt der politischen Selbstentleibung stand, ist einem frühen Beispiel des hartnäckig nachsetzenden Journalismus zu verdanken, der heute inflationär „investigativ“ genannt wird. Ohne die Marathonlungen der Reporter Bob Woodward und seines Kollegen Carl Bernstein, ohne die Rückdeckung des aus Berlin stammenden Lokal-Chefs Harry Rosenfeld, ohne die Standhaftigkeit der „Washington Post“ mit ihrem anfangs skeptischen Chefredakteur Benjamin Bradlee und der furchtlosen Herausgeberin Katherine Graham wäre die Affäre niemals aufgeklärt worden.

Das Blatt stellte fast unbegrenzt Zeit, Platz und Ressourcen zur Verfügung, um die Nebelkerzen-Maschine im Weißen Haus zu kontern. Heutzutage, sagte Rosenfeld kürzlich der „Neuen Zürcher Zeitung“, würden Verleger und Chefredaktionen schon allein aus Kostengründen kaum mehr bei so einem Kraftakt mitziehen. Ein Akt, der einer staatsbürgerlichen Dienstleistung gleichkam. America the beautiful. Ausnahmsweise.

„Niemand aus dem Stab des Weißen Hauses, niemand, der zurzeit in dieser Administration arbeitet, war in diesen sehr merkwürdigen Vorfall involviert“, hatte Richard Nixon Ende August auf einer Pressekonferenz zu dem zu dieser Zeit noch nebulösen Einbruch in die demokratische Parteizentrale im Watergate-Gebäude gesagt. Im November 1972 gewann der eiskalte Lügner die Wahlen.

Das Reporter-Duo hatte Blut geleckt

„Woodstein“, das Reporter-Duo, ließ sich davon nicht beeindrucken. Es hatte Blut geleckt, nachdem herauskam, dass einer der Einbrecher, Frank McCord, im Nebenberuf Sicherheitskoordinator des Komitees für die Wiederwahl Nixons war. So kam alles ins Rollen. Bericht folgte auf Bericht. Andere Medien sprangen auf den Zug, lieferten weitere belastende Details.

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Nixon verhedderte sich in Widersprüche und schwitzte. Als im Mai 1973 der Untersuchungsausschuss des Senats mit seinen von Millionen live am Fernseher mitverfolgten Anhörungen begann, waren Woodward und Bernstein, die später den Pulitzerpreis und eine Verfilmung ihrer Arbeit mit Robert Redford und Dustin Hoffman in den Hauptrollen ernteten, bereits Stars. Und Nixon politisch ein dem Tod geweihter Mann.

„Sein großer Fehler war seine Unfähigkeit, zu verstehen, dass Amerikaner nicht nachtragend sind, und dass er davongekommen wäre, wenn er frühzeitig seinen Irrtum zugegeben und sich entschuldigt hätte“, bilanziert Bob Woodward später. Dem Watergate-Komplex wäre so das Stigma des Kriminellen vielleicht erspart geblieben.

Das bis heute bei Mietern beliebte, wenn auch in die Jahre gekommene Wohn-Objekt am Fluss wird weiter als Kulisse des größten Politskandals Amerikas am Ufer des Potomac stehen. Stellplatz Platz 32 D in der Tief-Garage, in der „Deep Throat“ flüsternd dabei half, die dunkle Seite der Macht zu überführen, droht im kommenden Jahr wegen eines Hotelneubaus die Abrissbirne.