Moskau. . Kanzlerin Merkel, Frankreichs Präsident Hollande und der britische Premierminister Cameron haben Russland mit einer Verschärfung der EU-Sanktionen gedroht. Präsident Putin müsse Druck auf die prorussischen Separatisten ausüben, um Ermittlern ungehinderten Zugang zur Absturzstelle von Flug MH17 zu gewährleisten.

Am 10. Juli schnitten russische Journalisten ein Funk-Gespräch mit, als Rebellen über dem ostukrainischen Flughafen Donezk ein Großflugzeug beschossen. „Jungs“, rief ein Flak-Guerillero, „das ist eine Passagiermaschine!“ – „Spucken wir drauf!“, entgegnete ein anderer. „Wie kannst du so was sagen?“ – „Wir haben Flugverbotszone, was wollen hier Passagierflieger?!“ so die Antwort.

Auf Facebook-Seiten wird bereits heftig diskutiert, ob die Rebellen in der Ost-Ukraine vor dem Abschuss der malaysischen Boeing 777, bei der am Donnerstagabend 298 Menschen starben, ähnliche Debatten geführt haben. Es setzt sich immer mehr die Meinung durch, dass es die von Russland unterstützten Separatisten waren, die die Maschine abschossen. Russlands Präsident Wladimir Putin droht eine Niederlage im Propagandakrieg gegen die Ukraine.

Geheime Telefon-Mitschnitte

Der ukrainische Präsident Pjotr Poroschenko gab gestern bekannt, sein Land besitze außer Mitschnitten von Telefongesprächen der Rebellen, die deren Täterschaft bewiesen, auch Satellitenfotos des Luftabwehrgeschützes, das die Boeing traf. Zuvor hatte US-Präsident Barack Obama erklärt, die Rakete sei von Rebellengebiet aus abgeschossen worden. Moskau aber behauptet, eine bei Donezk stationierte Buk-Raketenbatterie der ukrainischen Armee habe gefeuert.

Putin telefonierte gestern mit Bundeskanzlerin Merkel, Moskaus Außenminister Sergei Lawrow mit seinem US-Kollegen John Kerry, hinterher betonte ein Kremlsprecher die Wichtigkeit einer „objektiven Untersuchung“. Aber Journalisten, ukrainische Rettungsmannschaften und OSZE-Beobachter in der Absturzzone klagen, die Rebellenkämpfer behinderten ihre Arbeit massiv. Nach Augenzeugenberichten lassen die Separatisten nicht nur Kreditkarten und andere Wertsachen von Absturzopfern verschwinden, sondern verfrachteten auch die Reste von mindestens 50 Toten in unbekannte Richtung.

„Russland droht zum Schurkenstaat zu werden“

Hollands Regierungschef Mark Rutte, der bei dem Absturz 192 Landsleute verlor, forderte schnelle Ermittlungsresultate – von Russland: „Putin muss jetzt die Verantwortung für die Rebellenkämpfer übernehmen und beweisen, dass er tut, was von ihm erwartet wird.“ Der australische Premierminister Tony Abbott wollte nicht ausschließen, dass sein Land Putin zum G20-Gipfel in Australien auslädt. Großbritannien, Frankreich und Deutschland drohen Russland mit neuen Sanktionen.

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Von Stefan Scholl und Christopher Onkelbach

Experten versichern, die zusammengewürfelten Rebellentrupps seien unfähig, ein BUK-Raketensystem zu bedienen. „Dazu bedarf es einer eingespielten Mannschaft von 30 professionellen Soldaten“, sagt der russische Militärexperte Viktor Litowkin. Wenn also die Ukrainer die Rakete nicht abfeuerten, dann mit großer Wahrscheinlichkeit russische Berufssoldaten. „Russland droht zum Schurkenstaat wie Nordkorea zu werden“, so der Moskauer Publizist Aider Muschdabajew.

„Kleinlaute Parolen aus dem Kreml“

Die Argumente des Kreml widersprechen einander seit Tagen. Erst behauptete der Staatssender NTV, die Ukrainer hätten die Maschine beim Versuch abgeschossen, Putins Präsidentenmaschine zu treffen: Dann zitierte der Staatssender Rossija 1 einen Rebellenkämpfer, der gesehen haben will, wie ein ukrainischer Düsenjäger die Boeing unter Feuer nahm.

„Viele Propagandaparolen klingen seltsam kleinlaut, als wolle man sich rechtfertigen“, sagte ein PR-Fachmann aus Moskauer Sicherheitskreisen dieser Zeitung. Die Zeitung Moskowski Komsomoljez prophezeit schwere Schäden für Image und Psyche des Vaterlandes: „Diese Boeing ist auf Russland gefallen.“