Essen. Hunderte junge Männer aus Deutschland kämpfen in Syrien und im Irak. Mit Videobotschaften rekrutieren die Islamisten den Nachwuchs für die „Gotteskrieger“. Forscher untersuchen warum die jungen Menschen sich radikalisieren und in den Kampf ziehen. Manche treibt schlicht die Abenteuerlust.
Sie heißen Kerim, Philip oder Burak und kommen aus Kleve, Dinslaken oder Wuppertal. In Syrien oder im Irak nennen sie sich Abu Zulfiqar, Abu Osama oder Abu Abdullah. Dort reihen sie sich ein in die Riege der Kämpfer, die für einen „Gottesstaat“ töten – und sterben.
320 Islamisten aus Deutschland sind in den vergangenen Jahren in die umkämpfte Region aufgebrochen, viele kämpfen für die besonders brutalen Isis-Milizen. Noch mehr junge Männer reisten aus Belgien in den Krieg, auch aus Dänemark, Holland, Großbritannien und Schweden machen sie sich auf. Viele junge Männer sind bereit zu kämpfen – es ist eine weltweite Freiwilligenarmee.
Facebook und Twitter als Rekrutierungsstelle
Kaum auf den Schlachtfeldern eingetroffen, posieren die Neulinge vor der Kamera mit Kalaschnikow, Raketenwerfer oder vor Panzern, verschicken die Bilder via Facebook oder Twitter in alle Welt, um neue Rekruten anzulocken, gerne aus Europa. Kanonenfutter für den „Heiligen Krieg“. Isis geht dabei sehr professionell vor, jede Internet-Botschaft wird in alle europäischen Sprachen übersetzt.
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Was treibt diese jungen Menschen an, was begeistert sie, warum ziehen sie freiwillig in den Krieg, warum lassen sie Familie und Freunde zurück? Warum wollen sie kämpfen und töten?
Syrienkrieg hat Muslime aufgerüttelt
„Grob unterteilt: Die Hälfte sind junge Leute, die bereits vorher in extremistischen Gruppen unterwegs waren und eine Gelegenheit suchen, ihre Überzeugungen auszuleben“, sagt Peter Neumann. Der Politikwissenschaftler erforscht am Kings College in London seit Jahren die Motive und Lebenswege junger Menschen, die sich Extremisten anschließen. Ihn treibt die Frage um, wie und warum sich Menschen radikalisieren. „Die andere Hälfte wurden durch den Syrienkonflikt radikalisiert. Der Krieg hat Muslime in aller Welt aufgerüttelt. Die Bereitschaft, für eine vermeintlich gerechte Sache zu kämpfen, ist stark gewachsen.“
Zwei wesentliche Motive haben Neumann und sein neunköpfiges Forscherteam ausgemacht: „Komm zu uns! Wenn es Dir etwas bedeutet, Muslim zu sein, brauchen wir Dich jetzt! – Davon fühlen sich viele Muslime angesprochen“, sagt Neumann. „Für jemanden, der in Deutschland keine besondere Perspektive hat, ist diese Bruderschaft eine große Sache.“
Krieg als Abenteuerurlaub
Der „theoretische Unterbau“ sei im Grunde simpel: Der Westen hat sich gegen den Islam und die Muslime verschworen und unterdrückt sie in aller Welt. Jetzt sei der richtige Zeitpunkt, um diese Herrschaft abzuschütteln und den Islam wieder zur Weltherrschaft zu führen wie einst im Kalifat. Das sei, so Neumann, mal in simplen Parolen, mal in komplizierter Theologie vorgetragen, die vorherrschende Botschaft.
Das zweite Motiv ist persönlicher Art: Die Suche nach dem großen Abenteuer, nach Selbstbestätigung und Sinn. „Die meisten gehen davon aus, dass sie bald wieder zurückkommen. Und viele tun das auch. Krieg als Abenteuerurlaub.“
Bildung spielt keine Rolle
Natürlich läuft die Radikalisierung junger Menschen nicht nach „Schema F“ ab. Sie findet ihren Nährboden in alltäglicher Unzufriedenheit, in persönlicher Wut, Diskriminierung und fehlender Akzeptanz. „Ideologien formen aus der Unzufriedenheit Sinn und lenken sie in eine bestimmte Richtung“, erklärt Neumann. Die Radikalisierung am Ende findet dann meist in einer Gruppe Gleichgesinnter statt.
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Dieser Prozess ist nicht zwingend abhängig von Bildungsstand oder sozialer Schicht. Der deutsche Arztsohn ebenso wie der Pizzabote mit Migrationshintergrund aus Dinslaken kann sich eines Tages entscheiden, seine Koffer zu packen. Die Zielgruppe habe sich über die Jahren verbreitert, beobachteten die Londonor Forscher. Vor allem um Frauen.
Immer mehr Frauen schließen sich an
Neumann: „Aus Schweden sind bereits 20 junge Frauen nach Syrien gereist, das ist ein neues Phänomen.“ Auch dabei spiele das Internet eine wichtige Rolle. So können auch Frauen, die in den Kampfgruppen nichts zu sagen hätten, leichter Kontakte knüpfen.
Und es ist einfach, nach Syrien zu kommen, weiß Neumann. „Man fliegt in die Türkei, geht über die Grenze und wird von Kontaktpersonen in Empfang genommen.“ Doch dort warten nicht selten traumatische Erfahrungen. Der Häuserkampf in Syrien ist gnadenlos, es geht ums Töten und Überleben. Und statt gegen den verhassten Assad in Syrien oder gegen Maliki im Irak zu kämpfen, finden die meisten Kämpfe zwischen den Rebellengruppen statt. Neumann: „Viele sind dadurch frustriert. Von 16 Briten, die in Syrien starben, kamen 15 bei internen Kämpfen ums Leben.“
Es sind diese Erfahrungen der Ex-Kämpfer, die man als abschreckende Botschaften nutzen sollte, sagt Neumann. Für all jene, die Helden werden wollen.