Kabul. . Bei der ersten Wahlrunde in Afghanistan im April lag Präsidentschaftskandidat Abdullah noch gut 900.000 Stimmen vor seinem Kontrahenten Ghani. Nach der Stichwahl ergibt sich nun ein ganz anderes Bild - das Abdullah nicht akzeptieren will. Die Wahlkrise am Hindukusch eskaliert.

Zweimal verschob die Wahlkommission (IEC) den Termin, um das vorläufige Ergebnis der Stichwahl um das Präsidentenamt in Afghanistan zu verkünden. Am Montag bestellte sie die Journalisten in Kabul um 14.00 Uhr Ortszeit ein - um sie viereinhalb Stunden warten zu lassen. In dieser Zeit wurde hinter den Kulissen darum gerungen, ob die Bekanntgabe des brisanten Ergebnisses nicht besser ein weiteres Mal verschoben werden sollte. Denn die Zahlen - die dann doch noch verkündet wurden - bergen Sprengstoff.

Nach dem vorläufigen Ergebnis vom Montag hat der frühere Finanzminister Aschraf Ghani die Stichwahl klar gewonnen: 56,44 Prozent der Stimmen konnte der einstige Weltbank-Experte demnach auf sich vereinen, 43,56 Prozent entfielen auf Ex-Außenminister Abdullah Abdullah. Dabei hatte Abdullah die erste Wahlrunde mit 45 Prozent klar gewonnen, Ghani kam damals mit 31,56 Prozent der Stimmen abgeschlagen auf den zweiten Platz.

Auch bei den absoluten Zahlen zeichnet das vorläufige Ergebnis vom Montag ein erstaunliches Bild: Lag Abdullah in der ersten Wahlrunde noch mit mehr als 900.000 Stimmen vor Ghani, drehte sich das Verhältnis nun radikal um. Ghani hat nach den IEC-Angaben vom Montag mehr als eine Million Stimmen Vorsprung vor Abdullah.

Abdullah erkennt vorläufiges Wahlergebnis in Afghanistan nicht an

Der afghanische Präsidentschaftskandidat Abdullah Abdullah hat das vorläufige Ergebnis der Stichwahl für das Amt zurückgewiesen und den Sieg für sich beansprucht. Der Ex-Außenminister nannte das vorläufige Resultat, das seinen Kontrahenten Aschraf Ghani deutlich in Führung sieht, das "Ergebnis von Wahlbetrug". "Ich bin in beiden Wahlrunden der Gewinner der ehrlichen Stimmen des afghanischen Volkes", sagte Abdullah am Dienstag in Kabul vor Tausenden Anhängern.

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Abdullah kündigte an, US-Außenminister John Kerry werde am Freitag in Kabul erwartet, um bei der Lösung der Wahlkrise zu helfen. Kerry hatte am Montagabend vor einer "Parallelregierung" in Afghanistan gewarnt. Abdullah hatte die erste Wahlrunde am 5. April deutlich gewonnen, die absolute Mehrheit aber verfehlt. In der Stichwahl gewann Ghani dann nach dem vorläufigen Ergebnis 56,44 Prozent der Stimmen, Abdullah kam nur noch auf 43,56 Prozent.

Abdullah kritisierte am Dienstag ein "Dreieck des Betruges" zwischen der Regierung des scheidenden Präsidenten Hamid Karsai, der Wahlkommission und dem Wahlkampfteam Ghanis. Abdullah sagte: "Die Menschen fordern mich auf, ihre Regierung zu verkünden. Ich kann Eure Aufforderung nicht ignorieren. Bitte gebt mir ein paar Tage Zeit, die Regierung des Volkes wird bald verkündet werden." Die Bitte nach Zeit quittierten seine Anhänger mit "Nein"-Rufen.

Ghani verweist angesichts des Stimmenvorsprungs darauf, dass es ihm eben gelungen sei, seine Anhänger zur Stichwahl zu mobilisieren. Seinen Kontrahenten konnte er mit dieser Argumentation nicht überzeugen. Abdullah hat mehrfach gedroht, ein Wahlergebnis, das auf gefälschten Stimmen basiere, nicht anzuerkennen.

Taliban haben Aktivitäten verstärkt

Für Afghanistan könnte ein offener Konflikt um das Präsidentenamt verheerend werden. Schon vor der Verkündung des Ergebnisses kam es zu Demonstrationen von Abdullah-Anhängern - bislang blieben sie friedlich, doch das kann sich in Afghanistan schnell ändern. Zunehmend wird der Streit zwischen den Lagern entlang ethnischer Linien geführt, was großes Gewaltpotenzial birgt.

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Gleichzeitig haben die Taliban ihre Aktivitäten verstärkt, Hunderte von ihnen haben im vergangenen Monat Ziele in der südlichen Provinz Helmand angegriffen, wo die Kämpfe andauern. Das könnte vor dem Abzug der Nato-Kampftruppen Ende des Jahres auf einen Strategiewechsel der Aufständischen hindeuten, die offene Gefechte in den vergangenen Jahren meist vermieden und vor allem auf Anschläge gesetzt haben.

Nicht zuletzt sind die Afghanen wahlmüde. Seit drei Monaten warten sie darauf, endlich Klarheit darüber zu haben, wer Präsident Hamid Karsai nachfolgt. Die Zeit drängt auch deshalb, weil die Nato Planungssicherheit für einen Folgeeinsatz im kommenden Jahr und ein Abkommen dafür mit dem neuen Präsidenten benötigt. Sollte das nicht rechtzeitig unterzeichnet werden, droht ein Abzug aller Truppen.

IEC-Chef Jusuf Nuristani rief die Kandidaten und ihre Anhänger am Montag zur Ruhe und zur Geduld auf. Er verwies darauf, dass Beschwerden vor der für den 22. Juli geplanten Verkündung des Endergebnisses weiter geprüft würden. Bislang ist die Amtsübergabe Karsais an einen Nachfolger am 2. August geplant. Ob es dann tatsächlich dazu kommt, scheint noch lange nicht ausgemacht zu sein. (dpa)