Kabul (dpa) - Bei der Stichwahl für das Präsidentenamt in Afghanistan haben viele Wähler erneut allen Anschlagsdrohungen der Taliban getrotzt.

In der Hauptstadt Kabul und in anderen Städten bildeten sich am Samstagvormittag lange Schlangen vor den Wahllokalen. Aus einigen ländlichen Gegenden berichteten Augenzeugen allerdings, dass Drohungen der Taliban Wähler von der Stimmabgabe abschreckten.

Bei der Stichwahl tritt Ex-Außenminister Abdullah Abdullah gegen den früheren Finanzminister Aschraf Ghani an. Rund zwölf Millionen Wahlberechtigte sind dazu aufgerufen, den Nachfolger von Präsident Hamid Karsai zu bestimmen. Ein vorläufiges Wahlergebnis soll am 2. Juli verkündet werden. Zum Schutz der Wahl sind nach offiziellen Angaben 400 000 Sicherheitskräfte eingesetzt.

Meldungen der Behörden über schwere Anschläge lagen zunächst nicht vor. "Der Wahlprozess verläuft gut und ernste Vorfälle wurden nicht berichtet", sagte der Sprecher des Innenministeriums, Sedik Sedikki, am späten Vormittag (Ortszeit). Der Sprecher der Kabuler Polizei, Haschmat Staniksai, sagte, in der zur Festung ausgebauten Hauptstadt seien am Morgen zwei oder drei ferngezündete Sprengsätze detoniert. Es habe keine Opfer gegeben. Aus den Provinzen Parwan und Ghasni berichteten Augenzeugen und Behörden von Raketenangriffen der Taliban.

Die Taliban teilten am Mittag mit, sie hätten seit Öffnung der Wahllokale 246 Ziele im Land angegriffen. Angaben der Aufständischen sind unzuverlässig. Die Taliban haben Anschläge am Wahltag angekündigt und die Afghanen dazu aufgefordert, der Abstimmung fernzubleiben.

"Afghanistan macht einen großen Schritt in Richtung Stabilität und Frieden", sagte Karsai bei der Abgabe seiner Stimme in Kabul. An die Adresse seiner Landsleute sagte er: "Bestimmt Euer eigenes Schicksal und beendet die Abhängigkeit von den Ausländern." Abdullah und Ghani riefen zu einer ehrlichen Wahl mit einem transparenten Ergebnis auf.

Der Chef der Wahlkommission (IEC), Jusuf Nuristani, appellierte an seine Landsleute, "trotz der Herausforderungen bei der Sicherheit zu den Wahllokalen zu gehen und ihr Schicksal zu bestimmen". Die Stichwahl bereitet den Weg für den ersten demokratischen Machtwechsel in der Geschichte des Landes. Karsai durfte nach den Vorgaben der Verfassung nicht ein drittes Mal kandidieren. Er regiert Afghanistan seit dem Sturz des Taliban-Regimes Ende 2001.