Moskau. . Kugelhagel, weiße Bohnen und schreckliche Geschichten: ein Besuch in einer Stellung in der Ostukraine. Ukrainische Soldaten feuern Granaten auf prorussische Rebellen und brüsten sich mit ihren „Heldentaten“. Sie reden wie Kosaken, die sich ihre Führer selbst wählen und hoffen auf einen schnellen Sieg.

Es regnet heftig. Der Regen scheint die jungen Raps- und Maisfelder ersäufen zu wollen, auch die israelischen Kameraleute, die sich kühn auf den vordersten Schützenpanzer gesetzt haben. Aber besser Regenguss als Kugelhagel.

Unser Konvoi, zwei Panzerwagen und drei Taxis mit Journalisten, hastet die Trasse Charkow-Donezk hinab. Die Straße ist leer. Wir fahren von Isjum, dem Hauptquartier der ukrainischen Truppen, Richtung Süden, zu den vordersten Stellungen vor der belagerten Separatistenhochburg Slawjansk.

Der Regen scheint die Front zu meiden, der Rollsplit am „Blokpost 3a“ ist trocken. „Blokpost“ heißt Straßensperre auf Russisch, und Russisch ist die Sprache dieses Krieges. Rechts 150 Meter Schilf, dahinter ducken sich die Dächer der ersten Häuser von Slawjansk.

„Blokpost 3a“ ist eine seltsame Festung. Ein großer Platz, gesäumt von Sandsäcken und Betonblöcken, in der Mitte thront ein auf den Kopf gekippter eiserner Wassertank, jemand hat mit dem Schneidbrenner eine Türöffnung und Schießscharten hineingeschweißt. Einmachgläser mit gesalzten Tomaten und weißem Speck daneben zeugen davon, dass sich das Volk zumindest zum Teil auf die Seite der Armee geschlagen hat.

Geschichten und Gerüchte über den Feind

Glaubt man den prorussischen Rebellen, dann besteht die ukrainische Armee aus faschistischen Sadisten, die Krankenhäuser in Brand schießen, und aus hungrigen, barfüßigen Rekruten, denen die Offiziere die Handys abgenommen haben, damit sie ihre Mütter nicht um Hilfe anflehen.

Sergei ist seit April hier, er kommt aus dem westukrainischen Iwano-Frankowsk, parliert aber eifrig auf Russisch. „Vor ein paar Tagen haben wir ihren Nona vernichtet, „ein Selbstfahr-Minenwerfer, sehr manövrierfähig“, fachsimpelt er, „der hat uns am meisten Schwierigkeiten gemacht.“ Der Nona-Minenwerfer der Separatisten ist berüchtigt, er feuert angeblich aus Kirch- und Schulhöfen in der Stadt, um Gegenschläge der ukrainischen Artillerie zu provozieren. Nach ukrainischen Angaben ist Nona schon mindestens viermal zerstört worden.

Sergei betrachtet die Welt jetzt duch Kimme und Korn

Sergei ist 23, hat ein kluges Gesicht, ein gelernter Pressefotograf, der die Welt jetzt durch Kimme und Korn betrachtet – offenbar mit Interesse. Die meisten Separatisten taugten nichts, „viele Rauschgiftsüchtige, wir finden immer wieder Spritzen in ihren Stellungen.“ Aber die Militärs aus Russland seien Profis, die ließen keine Toten, keine Verletzten zurück, nicht mal Patronen.

Zwei Soldaten sind für die Fernsehleute auf eine Schützenpanzer geklettert und eröffnen kläffendes Feuer aus einem automatischen Granatwerfer. Irgendwo im Niemandsland bellt das Echo der Einschläge.

Sergei ist Fallschirmjäger, die Fallschirmjäger gelten als knüppelhart. Ein paar Kilometer weiter prügelten sie kürzlich einen ukrainischen TV-Reporter halbtot: Er hatte er eine junge Armeepsychologin an der Front fotografiert und dann in Facebook gestellt, Separatisten entdeckten sie und bezeichneten sie in einem Repost als „Flintenweib“.

Sie reden, als wäre sie Kosaken

Ein anderer Soldat sagt, er habe sich schon überlegt, ob die Armee nicht gegen die Regierung aufstehen müsse, wenn sich deren Politik nicht ändere. „Hier gibt es keine Hierarchie“, verkündet Sergei. „Ich habe schon Oberste gesehen, die selbst geschaufelt haben, weil niemand anders die Hände dafür frei hatte.“ Überhaupt würden die Offiziere heftig rotieren. Die Krieger am „Blokpost 3a“ reden so, als wären sie Kosaken, die sich ihre Führer selbst wählen.

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Die ukrainischen Truppen hier haben ihre eigenen Taktiken entwickelt. Seit Wochen verwickeln ukrainische Spähtrupps die Straßensperren des Feindes immer wieder in Schießereien. Sobald er zurückfeuert und dabei seine Positionen offenbart, nimmt ihn die ukrainische Artillerie unter Beschuss. Sie soll so wiederholt Dutzende Feinde getötet haben.

Hoffnung auf einen Präsidenten mit Killerinstinkt?

„Natürlich nervt es, dass wir aus Rücksicht auf die Zivilisten, nicht so kämpfen können, wie wir wollen. Natürlich nervt es, wenn ein Kamerad neben mir einen Granatsplitter in den Hals kriegt“, räsoniert Sergei. Aber er glaubt in zwei, drei Wochen sei hier alles vorbei. Allerdings nicht, weil der neue ukrainische Präsident Sergei Poroschenko in dieser Woche eine Verhandlungslösung erreichen möchte. „Weil unser neuer Präsident Killerinstinkt hat“, sagt Sergei.

Wir sitzen gerade wieder in den Autos, da fallen Schüsse aus dem Schilf. Die Ukrainer eilen über den Platz, werfen sich in Schützenlöcher, feuern. Ein Maschinengewehr lärmt. Kein Geschrei, keine Befehle, nur flinke Bewegungen und eifrige, böse Gesichter. „Die Separatisten versuchen, uns auf die Nerven zu gehen“, hat Sergei gesagt. „Denn sie sind schwächer als wir.“