Essen. Wie leben wir in 20 Jahren? Trennungen, Mobilität und der Wunsch nach Unabhängigkeit haben die Singlewohnung zum begehrtesten Haushaltstyp Deutschlands gemacht. Aber die Bewohner sind nicht nur jung und erfolgreich, sondern oft schon Rentner.

Wie werden wir leben in zehn, zwanzig, dreißig Jahren? Fest steht: Die Bevölkerung wird schrumpfen, sie wird insgesamt älter werden, die Vereinzelung wird zunehmen und die Gesellschaft wird vielfältiger, bunter werden. Sinkende Einwohnerzahl und alternde Bevölkerung stellen Städte und Arbeitswelt vor neue Herausforderungen.

Die neuerlich gestiegene Zahl der Singlewohnungen ist für den gesamten Trend ein Indiz. Die Gefahr, im Alter arm und allein zu sein, wächst. Die Menschen werden länger arbeiten und später in Rente gehen, erwarten Experten.

Aber auch die Bereiche Wohnen, Bildung und Arbeit werden sich auf die alternde und schrumpfende Bevölkerung einstellen müssen. Zudem wird der demografische Wandel eine stärkere Zuwanderung erfordern, allein um den Fachkräftemangel abzufedern. Ansiedeln werden sich die Menschen vor allem in Städten und Ballungsräumen wie dem Ruhrgebiet. Dort gibt es Wohnraum, Ausbildungsstätten, Arbeitsplätze, Kultur- und Freizeitangebote.

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Dennoch wird die Einwohnerzahl der meisten Städte insgesamt langfristig sinken. So werden im Jahr 2020 in Essen nach Prognosen der Bertelsmann-Stiftung noch knapp 560 000 Menschen leben, heute sind es rund 15000 mehr. Ähnliches gilt für Dortmund und andere Städte.

Städte müssen Infrastruktur gemeinsam planen

Wie sich die Kommunen auf diese Entwicklungen besser einstellen können, daran forscht Andrea Dittrich-Wesbuer vom Dortmunder Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (ILS) seit vielen Jahren. Denn trotz sinkender Bevölkerungszahlen müssen die Städte auch in Zukunft Straßen, Versorgungsleitungen, Kitas, Schulen und soziale Einrichtungen bauen und instand halten.

Um diese Aufgaben langfristig zu schultern, sind steigende Gebühren die mögliche Folge. Gute Aussichten haben daher Gemeinden, die sich zusammenschließen und gemeinsam ihre Infrastruktur planen, weiß Dittrich-Wesbuer. Doch gerade im Ruhrgebiet ist hier noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten.

Die Forscherin empfiehlt eine stärkere Arbeitsteilung und mehr Zusammenarbeit über die Städtegrenzen hinweg. Nicht jede Kommune müsse anbieten, was es in der Nachbarschaft schon gibt. „Wenn das Freizeitbad in einer Gemeinde erhalten wird, sind es vielleicht spezielle Bildungseinrichtungen in einer anderen Kommune.“ Wenn man sich besser untereinander vernetze, könne es insgesamt bessere Lebensbindungen geben, so dass die Menschen gerne in ihrer Heimatstadt bleiben – und das kann womöglich Neubürger anlocken.

Bedarf nach "Mini-Wohnungen" wird steigen

Die Wohnungswirtschaft reagiert auf die neuen Anforderungen. Die Deutsche Annington, nach eigenen Angaben das größte Wohnungsunternehmen Deutschlands, erwartet ein Wachstum bei Mini-Wohnungen für eine bis zwei Personen um neun Prozent bis 2025.

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Noch in diesem Jahr sollen 2600 Wohnungen seniorenfreundlich umgebaut werden. 300 Millionen Euro will der Konzern mittelfristig investieren, um zehn Prozent seines kompletten Bestands barrierefrei umzurüsten.

Millionen Arbeitskräfte werden fehlen

Auch die Wirtschaft stellt der demographische Wandel vor große Herausforderungen. Schon in 25 Jahren könnten Deutschland über sechs Millionen Arbeitskräfte fehlen, wenn sich der Trend ungebrochen fortsetzt, ergab eine Studie der Robert Bosch Stiftung zur „Zukunft der Arbeitswelt“. Deutschland altere und schrumpfe schneller als viele andere Industriestaaten. Reformen wie eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit, flexiblere Renteneintrittszeiten und mehr Fachkräfte aus dem Ausland seien nötig, um die Wettbewerbsfähigkeit des Landes zu sichern, ergab die Studie.

Vor allem auf die Frauen setzen die Experten. Ihr Anteil an der Erwerbstätigkeit müsse weiter steigen. Die Mehrheit der weiblichen Arbeitskräfte sei derzeit in klassischen Teilzeitjobs beschäftigt. Dabei könnte sich ein Viertel der Berufstätigen vorstellen, länger zu arbeiten – wenn es ein besseres Angebot für die Kinderbetreuung gäbe.

Auch Schulen und Hochschulen müssen sich auf die sinkende Zahl junger Menschen einstellen. Qualifikation wird zum Schlüsselbegriff. Der Slogan „Wir dürfen kein Kind zurücklassen“ bekommt vor dem Hintergrund der alternden Gesellschaft und des Fachkräftemangels besondere Dringlichkeit.