Kiew/Donezk. Die Präsidentenwahl in der Ukraine gilt als wichtiger Schritt zur Stabilisierung der innenpolitischen Krise. Aber fraglich ist, ob das Wahlergebnis wirklich den Willen des Volkes spiegelt. Im Osten des Landes verhindern Separatisten die Abstimmung.
Überschattet von Gewalt und Drohungen prorussischer Separatisten hat die Ukraine mit der Wahl eines neuen Präsidenten begonnen. Im krisengeschüttelten Osten der Ex-Sowjetrepublik öffnete allerdings nur ein Bruchteil der Wahllokale. Örtlich Medien berichteten am Sonntag von vereinzelten Übergriffen moskautreuer Kräfte auf Wahlstellen. Viele Einwohner der Gebiete Donezk und Lugansk, die von Separatisten am Vortag zu einem "Neurussland" vereint worden waren, trauten sich demnach nicht zur Wahl oder fanden keine Möglichkeit zur Stimmabgabe vor.
Als aussichtsreichster Kandidat galt nach Umfragen der Schokoladenfabrikant Pjotr Poroschenko. Mit weitem Rückstand lag die Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko demnach auf Platz zwei. "Ich habe für die Freiheit und die Demokratie in der Ukraine gestimmt", sagte die 53-Jährige bei der Stimmabgabe in ihrer Heimatstadt Dnjepropetrowsk.
"Wir werden ein legal gewähltes Staatsoberhaupt bekommen", betonte Regierungschef Arseni Jazenjuk. Die prowestliche Führung in Kiew, die EU und die USA hoffen, dass die Abstimmung die Lage in der Ukraine stabilisiert. Die Ukraine ist seit der Amtsenthebung und Flucht von Präsident Viktor Janukowitsch ins russische Exil Mitte Februar ohne gewählten Staatschef. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte am Samstag im Gespräch mit Vertretern internationaler Medien bekräftigt, Moskau werde das Votum respektieren, sprach aber nicht ausdrücklich von einer "Anerkennung". Das Wahlergebnis soll nach einem Parlamentsbeschluss in Kiew in jedem Fall Gültigkeit haben.
Etwa 35 Millionen Menschen in der Ukraine zur Wahl aufgerufen
Insgesamt waren etwa 35 Millionen Menschen wahlberechtigt. Mit eingerechnet sind auch die Einwohner der Schwarzmeerhalbinsel Krim, die Russland sich gegen internationalen Protest eingegliedert hatte. Krim-Bewohner können ihre Stimme aber nur auf dem Festland abgeben.
Die Abstimmung sollte bis 20.00 Uhr Ortszeit (19.00 Uhr MESZ) dauern. Erhält keiner der 21 Bewerber die absolute Mehrheit, ist in dem nahezu bankrotten Land eine Stichwahl nötig. Tausende internationale Experten beobachteten die Abstimmung.
Bei der Wahl in der zweitgrößten Stadt Charkow im Nordosten gab es zunächst keine Zwischenfälle. Hingegen hatte in der ostukrainischen Millionenstadt Donezk am Vormittag kein Wahllokal geöffnet, wie die von Kiew eingesetzte Gebietsverwaltung mitteilte. Um 9.30 Uhr Ortszeit (8.30 Uhr MESZ) sei im gesamten Gebiet Donezk die Stimmabgabe in 426 von insgesamt 2430 Wahlbüros möglich gewesen. Es lägen allerdings noch nicht Informationen aus allen Teilen der Region vor.
Im benachbarten Gebiet Lugansk könne vermutlich nur in zwei von zwölf Bezirken gewählt werden, betonte eine Nichtregierungsorganisation. Die Gebietshauptstadt Lugansk ist vollständig unter Kontrolle prorussischer Separatisten. In zwei Städten wurden zudem die Bürgermeisterwahlen abgesagt. In der Region halten moskautreue Kräfte zahlreiche Verwaltungsgebäude besetzt. Sie haben sich nach umstrittenen Referenden von Kiew losgesagt. Es kommt immer wieder zu Gefechten mit Regierungstruppen. Dabei sollen in der Nacht mindestens zwei ukrainische Soldaten und vier verletzt worden sein.
Journalisten in Slawjansk unter Beschuss
Nahe der Separatisten-Hochburg Slawjansk gerieten ausländische Reporter unter Beschuss. Dabei sei ein italienischer Fotograf verletzt worden, meldete die Agentur Ansa unter Berufung auf informierte Kreise. Nach Angaben der moskautreuen Kräfte wurden der Italiener und sein russischer Übersetzer getötet sowie ein französischer Fotograf verletzt. Eine unabhängige Bestätigung dafür gab es zunächst nicht.
Zwei russische Journalisten, die vor mehreren Tagen von ukrainischen Sicherheitskräften unter Terrorverdacht festgenommen worden waren, wurden in der Nacht in ihre Heimat ausgeflogen. Kremlchef Wladimir Putin hatte mit Nachdruck die Freilassung der Reporter vom regierungsnahen Fernsehsender LifeNews TV gefordert.
In Kiew waren die Einwohner zugleich zur Wahl eines neuen Bürgermeisters aufgerufen. In letzten Umfragen lag Ex-Boxweltmeister Vitali Klitschko deutlich in Führung. Er hatte 2006 und 2008 bei der Abstimmung jeweils verloren. (dpa)