Kiew. Die OSZE steht vor einer der größten Beobachtermissionen ihrer Geschichte. Mit Tausenden Mitarbeitern will die Organisation die Präsidentenwahl in der Ukraine begleiten, die für die Stabilität in den Land entscheidend sein könnte. Doch Gefahren lauern überall.
Es ist ein historischer Einsatz für die Demokratie in der Ukraine. Mehrere tausend Beobachter sollen Wahllokale und Urnen überwachen, wenn die Menschen in der Ex-Sowjetrepublik an diesem Sonntag (25. Mai) über einen neuen Präsidenten abstimmen. Die Wahl sei für das zutiefst zerrissene Land "absolut entscheidend", betont die US-Spitzendiplomatin Victoria Nuland. Aber gerade für die ausländischen Beobachter, davon mehr als 1000 im Auftrag der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), ist es zugleich einer der riskantesten Aufträge.
Die Zwischenfälle häufen sich. In der Großstadt Donezk wurden gerade mehrere OSZE-Mitarbeiter von Bewaffneten kurzzeitig verschleppt. Ende April waren OSZE-Militärbeobachter, darunter vier Deutsche, nahe der Separatisten-Hochburg Slawjansk tagelang in der Hand militanter moskautreuer Aktivisten. Und die Situation ist weiter hochgradig gespannt. Fast täglich kommt es zu blutigen Gefechten zwischen Regierungstruppen und prorussischen Kräften mit Toten und Verletzten.
Gesetzlosigkeit breitet sich aus
Auch die Gesetzlosigkeit breitet sich aus. Morde, Entführungen und Folter sind nahezu Alltag, wie Bürgerrechtler warnen. "In der Ukraine herrscht Chaos", betont Tom Hoyem, Direktor der Europäischen Schule in Karlsruhe, der für die OSZE die Abstimmung beaufsichtigen wird. Zusätzlich zu den ausländischen Wahlbeobachtern wird die Organisation auch auf etwa 4000 ukrainische Mitarbeiter setzen. Für sie ist das Risiko, von den Separatisten als "Spione" festgehalten zu werden, noch höher, zumal sie kaum über diplomatischen Schutz verfügen.
Kurz vor der Abstimmung mehren sich Berichte von Übergriffen. So sollen in Donezk und Lugansk die Vorsitzenden zweier Wahlkommissionen vorübergehend entführt worden sein. Innenminister Arsen Awakow ruft alle Ausländer auf, die Unruhegebiete zu verlassen - wie zuvor schon das Auswärtige Amt in Berlin. Die OSZE spricht von einer sensbilen Situation in Politik, Wirtschaft und Sicherheit.
Moskautreue Machthaber lehnen Abstimmung ab
Schon seit langem scheint klar, dass die Wahl nicht im ganzen Land stattfinden kann. Das räumt auch US-Diplomatin Nuland ein. So hat sich Russland gegen internationalen Protest die Halbinsel Krim angegliedert. Nun geht es um die Sicherheitslage in den selbst ernannten "Volksrepubliken" Donezk und Lugansk, die sich nach einem umstrittenen Referendum für eigenständig erklärt haben.
Die neuen moskautreuen Machthaber lehnen die Abstimmung mit Nachdruck ab. "Es ist rechtswidrig, die Wahl auf dem Gebiet unseres unabhängigen Staates durchzuführen", warnt der "Volksgouverneur" von Donezk, Pawel Gubarew. Ähnliche Drohungen kommen aus dem benachbarten Lugansk. Die Macht, daran etwas zu ändern, hat die Zentralregierung kaum - sie hat die Kontrolle über große Teile dieser Gebiete längst verloren.
Kandidaten sind umstritten
Auch unabhängige Bürgerrechtler haben kaum mehr Hoffnung, dass es doch noch zu einer landesweiten Abstimmung kommen wird. "Ich kann mir nicht vorstellen, wie sie die Laster mit den Wahlzetteln herbringen wollen", meint Bogdan Bondarenko von der Organisation Wählerkomitee im Gebiet Lugansk. Es klingt geradezu ohnmächtig, wenn Nuland an den Mut der Bewohner appelliert, ihre Stimme abzugeben - auch unter den Gewehrläufen der moskautreuen Bewaffneten.
Die offiziell 21 Kandidaten - drei Bewerber haben nach Ablauf der Frist ihren Rückzug verkündet - sind für viele Menschen im Südosten ein Teil des Problems. Kaum ein Name findet sich auf dem Wahlzettel, dem eine Moderation in dem hasserfüllten Konflikt zugetraut würde. Auch der aussichtsreichste Kandidat Pjotr Poroschenko hat eine Fortsetzung des massiven "Anti-Terror-Einsatzes" unterstützt. Diese Militäroperation aber, so urteilt auch die OSZE, beeinträchtige den Wahlprozess ernsthaft.
Immerhin machen jüngste Aussagen aus Russland den Beobachtern Mut. Bei aller Kritik an der "illegalen" Regierung in Kiew - Moskau sieht in der Wahl derzeit die beste Möglichkeit für eine Stabilisierung. Kommentatoren in Kiew weisen allerdings darauf hin, dass Russland jederzeit seine Unterstützung zurückziehen könnte. Schließlich sei es ein leichtes, dem Wahlergebnis den Volkswillen abzusprechen, wenn die Meinung eines wichtigen Landesteiles nicht gehört würde. (dpa)