Arnsberg. .

Direkt wählen können die Bürger sie am 25. Mai nicht, aber Birgit Sippel (SPD) und Peter Liese (CDU) sind die Repräsentanten Südwestfalens im Europaparlament. Die Abgeordneten sind über ihre Landes- bzw. Bundesliste gut abgesichert, so dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit auch im kommenden EU-Parlament vertreten sein werden. Wir haben uns mit den Sauerländern in Arnsberg zum Doppelinterview getroffen.

Frage: Brauchen wir eigentlich mehr oder weniger Europa?

Birgit Sippel: Mehr. Gerade die Krise in der Ukraine zeigt, wie wichtig die vertrauensvolle Zusammenarbeit der Staaten ist. Wir müssen mit einer Stimme sprechen. Deshalb verlagern ja die Mitgliedsländer auch immer mehr Kompetenzen auf die europäische Ebene.

Peter Liese: Wir brauchen mehr Europa in den Angelegenheiten, die wirklich wichtig sind, zum Beispiel eine gemeinsame Währung. Hier muss es eine bessere Zusammenarbeit und eine stärkere Kontrolle über die nationalen Haushalte geben. Auch in der Außenpolitik brauchen wir ganz klar mehr Europa. Allerdings gibt es auch Punkte, bei denen die EU-Kommission übertrieben hat, etwa beim Ölkännchen oder in der Frage, wie lange angehende Krankenschwestern zur Schule gegangen sein müssen.

Sippel: Das Thema Krankenschwestern sehe ich anders: Gerade junge Menschen erwarten, dass ihre Ausbildung überall in Europa anerkannt wird. Im Bereich der Pflegeberufe gibt es Veränderungsbedarf, den mir auch viele Fachverbände immer wieder bestätigen. Und manche Entscheidung erscheint nur auf den ersten Blick blödsinnig. Etwa die Regelung der Wattzahl bei Staubsaugern: Wenn wir die Energiewende wollen, müssen wir der Industrie in Fragen der Energieeffizienz Vorgaben machen – genauso wie bei den Kühlschränken.

Mehr Europa – was heißt das denn konkret?

Sippel: Es ist ein wichtiges Signal, dass die Bürger jetzt mit der Wahl auch eine Vorentscheidung über den künftigen Kommissionspräsidenten treffen. Entscheidend wird aber sein, dass sich langfristig die Kompetenzen von Landes- und Bundesebene verändern müssen, wenn wir mehr Aufgaben nicht allein national, sondern gemeinsam in Europa lösen. Zu den wichtigen Ebenen werden sich neben der EU die regionale und kommunale Ebene entwickeln, weil vor Ort die meisten Dinge umgesetzt werden. Der Bund wird eine stärkere Vermittlerrolle übernehmen müssen.

Liese: Der Bundestag wird eine stärkere Kontrolle über die EU-Beamten ausüben und die wichtigen Entscheidungen besser begleiten müssen. Die nationalen Abgeordneten müssen sich mehr um Europa kümmern. Bisher gibt es bei vielen noch eine Scheu, sich mit den europäischen Themen zu beschäftigen.

Wie groß soll, wie groß darf Europa denn noch werden?

Sippel: Wir können heute noch nicht entscheiden, wie groß Europa in 20 oder 50 Jahren sein wird. Zur Türkei: Grundsätzlich kann sie Mitglied werden, derzeit ist das aber auf mindestens die nächsten zehn Jahre gesehen nicht vorstellbar, weil die Regierung gegen grundsätzliche Bürgerrechte verstößt. Die Debatte, ob wir überhaupt noch andere Länder aufnehmen sollten, ist gefährlich, weil wir aufpassen müssen, dass wir uns nicht mit den extremen Rechten in ein Boot setzen. Jetzt brauchen wir erst einmal Zeit, um uns in der bestehenden EU mit 28 Staaten auf eine neue Basis zu stellen. Erweiterung ist kein Wert an sich.

Liese: Wir sollten in den nächsten fünf Jahren keinen neuen Staat aufnehmen, denn wir sind jetzt in einer Phase der Konsolidierung. Danach müssen wir uns über die Kriterien unterhalten, unter denen zum Beispiel Serbien und Mazedonien beitreten können. Bei der Türkei war es ein Fehler, die Verhandlungen mit Beitrittsperspektive überhaupt zu beginnen. Ich bin auch gegen einen späteren Beitritt der Türkei. Wir sollten mit der Türkei den Weg der Kooperation gehen, aber nicht den der Vollmitgliedschaft.

Liegt das auch am Glauben?

Liese: Nein, ich halte einen moderaten Islam für einen Teil Europas. Voraussetzung: Alle müssen sich an die europäischen Grundwerte halten.

Sippel: Moment, warum reden Sie von einem moderaten Islam? Der Islam ist wie das Christentum eine Religion, die Gewalt ablehnt. Fundamentalisten und Gewalttäter gibt es in anderen Religionen auch.

Was hat Europa den Menschen in Südwestfalen in den vergangenen fünf Jahren gebracht?

Liese: Wir haben es geschafft, die Fördermittel aus dem Ziel-2-Progamm wieder in die Region zu holen, nachdem die NRW-SPD das Geld einseitig ins Ruhrgebiet gelenkt hatte: 70 Millionen Euro, davon 33 Millionen für die Regionale. Damit konnten wir auch die Wirtschaft nachhaltig stärken.

Sippel: Da muss ich widersprechen. Diese Region hat zu allen Zeiten europäische Fördermittel bekommen. In Südwestfalen war aber der Strukturwandel nicht so ausgeprägt wie etwa im Ruhrgebiet bzw. hat sich hier später ausgewirkt. Deshalb waren einige Mittel hier vorübergehend nicht so notwendig.

Liese: Wirtschaftsfördermittel gab es in der Periode bis 2006 für uns nicht. Dies war ein großes Ärgernis. Daher ist es gut, dass wir das geändert haben.

In welchen Punkten unterscheiden Sie sich politisch grundsätzlich?

Sippel: Bei der schon erwähnten Frage, ob die Türkei EU-Mitglied werden sollte. Zudem sehe ich nicht, dass die direkte Förderung von Unternehmen wichtiger ist als etwa die Sichtbarmachung von Flüssen wie in Meschede und Siegen. Wer Arbeitnehmer in der Region halten oder neu hinzugewinnen will, muss sich um die Lebensqualität kümmern. Die Förderung von Unternehmen ist kein Selbstzweck. Wir wollen Innovation und wirtschaftlichen Stärke als eine Grundlage für gesellschaftlichen Fortschritt und Zusammenhalt. Dazu gehören Energieeffizienz und Umweltschutz ebenso wie gute Arbeit und faire Löhne.

Liese: Wir unterscheiden uns ganz grundsätzlich im Punkt Eurobonds. Ich bin dagegen, die Schulden in Europa zu vergemeinschaften, die SPD nicht.

Sippel: Auch da widerspreche ich: Die Eurobonds als Teil einer künftig stärker gemeinsam abgestimmten Wirtschafts- und Finanzpolitik sind ein wichtiges Signal europäischen Zusammenhalts.
Liese: Wir müssen uns aber auch nicht in allen Punkten unterscheiden. Im Gegenteil: Wenn wir beide und auch Merkel und Steinmeier sich bei den Themen Frieden und Freiheit einig sind, dann bringt das ganz Europa voran.