Essen. . Der Journalist Glenn Greenwald erzählt in einem spannenden Buch „No Place to Hide“ die Affäre Snowden nach. Snowden wollte die Freiheit des Internet retten und handelte als Patriot. Dafür gab er alles auf. Hollywood nimmt es zur Vorlage für einen neuen Film über Snowden und die Folgen.

Edward Snowden hat seinen Tarnnamen mit Lust an Geschichte und Symbolik gewählt. Er nennt sich C.

"C." nach Lucius Quinctius Cincinnatus. Der war ein römischer Bauer, der im fünften Jahrhundert vor Christus zum Diktator Roms ernannt wurde mit dem Auftrag, die Stadt gegen die Angriffe von Nachbarvölkern zu verteidigen. Was C. vor zweieinhalbtausend Jahren für Rom war, das kurz darauf zum Zentrum der Welt aufsteigen sollte, das ist Snowden heute für das Epizentrum des Globus: das Internet. Jedenfalls sieht er selbst sich so als jemand, der diesen grenzenlosen Spielraum für Freiheit verteidigen will gegen dessen Feinde. Was die Nachbarvölker für Rom waren, ist für das Internet die amerikanische Regierung. Genauer: die Überwachungskrake NSA.

Ausgerechnet die Regierung des Friedensnobelpreisträgers Obama ist dabei, das Internet zu einem Instrument der Unterdrückung zu machen, „die schrecklichste Waffe staatlicher Einmischung“ zu schaffen, „die es in der Geschichte der Menschheit je gegeben hat“. So hat es der Enthüllungsjournalist Glenn Greenwald aufgeschrieben. An ihn hat sich Snowden gewandt, um auszupacken.

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Besser als die Skandinavien-Thriller

Greenwald hat seine Begegnung mit Snowden, die schreckliche Wandlung des Internets und welche Politik dahinter steht, punktgenau aufgeschrieben. Und man muss sagen: Vergesst die Skandinavien-Thriller – Greenwald ist besser.

Atemlos liest man, wie die größte Enthüllungsgeschichte dieses Jahrhunderts beinahe nicht zustande gekommen wäre, weil Greenwald gerade mal seinen Schreibtisch mit anderen Enthüllungsgeschichten voll hat. Und weil er nicht weiß, ob dieser C. seriös ist oder nur wichtigtuerisch blufft, und weil er gar nicht verstehen will, weshalb er sich von zu Hause aus, von Rio, in ein Flugzeug setzen soll, um nach Hongkong zu fliegen. Gescheitert wäre die Nummer auch fast daran, dass Greenwald, als er anhand der ersten Dokumente ahnt, was für einen Jahrhunderttreffer er landen kann, zu ungeduldig ist für den britischen Guardian, der zwar scharf auf die Geschichte ist, aber nicht darauf, seinen guten Ruf zu verlieren.

Das Handy-Akku im Kühlschrank

Als Greenwald den unscheinbaren Dokumentendieb Snowden im Fünf-Sterne-Hotel Mira trifft, weiß er schon, dass man aus seinem Handy den Akku in den Kühlschrank legen muss, wenn man nicht von den Amis abgehört werden will.

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Er weiß auch, dass Snowden hoch intelligent ist, rational und – jawohl: ein Patriot. Als er 20 Jahre alt ist, meldet sich Snowden zum Irak-Krieg, freiwillig. Zweifel kommen ihm erst, als er entdeckt, dass es nicht um die Befreiung des irakischen Volkes geht, sondern darum, „Araber zu töten“. Als er für die Amerikaner in verschiedenen Sicherheitsfirmen arbeitet, wird ihm bewusst, wie massiv die Überwachungsmethoden der USA die Privatsphäre verletzen.

Er will das Netz retten

Snowdens Antrieb ist heroisch: Er will das weltweite Netz retten. Und seine Moral hat er bei, Achtung: Videospielen gelernt. Nämlich, „dass scheinbar ganz normale Menschen, die einer Ungerechtigkeit entschlossen entgegentreten, auch die schrecklichsten Gegner besiegen können“. Er will auch nicht die amerikanische Regierung besiegen, sondern mit seinen Enthüllungen „der Öffentlichkeit einfach die Möglichkeit geben, selbst zu entscheiden, ob das so weitergehen soll“. Dafür gibt er alles auf: seine Liebe, ein Leben im paradiesischen Hawaii, seine Familie, seine Zukunft und einen 200.000 Dollar Job. Idealist sein wollen kann schon sehr teuer sein.

Und warum hat sich Snowden an den in Brasilien lebenden Greenwald gewendet und nicht an die so mächtige New York Times oder die seit dem Watergate Skandal aufs Enthüllen spezialisierte Washington Post? Ganz einfach: Snowden verachtet diese Medien. Er hält sie für ängstlich und letztendlich für Büttel der amerikanischen Regierung. Dafür liefert er sogar eine Menge Belege.

97 Milliarden E-Mails in 30 Tagen

Zehn Tage verbringen Snowden, die unerschrockene Dokumentarfilmerin Poitars und ein Reporter vom Guardian in dem Hongkonger Hotel. Am Ende weiß Greenwald, dass eine einzige Abteilung der NSA innerhalb von 30 Tagen 97 Milliarden E-Mails und 124 Milliarden Telefonate aus der ganzen Welt sammeln kann. Er weiß, dass der NSA-Direktor Alexander vor dem Kongress gelogen hat.

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Er weiß, dass die NSA Wirtschaftsspionage betreibt und selbst befreundete Staatschefs wie Angela Merkel aushorcht. Er weiß, dass die amerikanische Regierung ein System aufgebaut hat, „dessen Ziel die vollständige Abschaffung der elektronischen Privatsphäre war, und zwar weltweit“. Er weiß, dass die Amerikaner einen Überwachungsstaat installieren wollen, um das eigene Volk und den Rest der Welt zu beherrschen. Er weiß auch, dass es den Nachweis, mit der ganzen Überwacherei den Terror bekämpfen zu können, nicht gibt.

Und er weiß schließlich, dass diese hilfreichen Dienstleister der Menschheit, Google und Co., mit von der Partie sind.