Suche nach Unglücksursache - deutsche Experten üben Kritik

Essen. Die Suche nach den Ursachen für das Unglück von Soma hat begonnen. Die deutsche Bergbaugewerkschaft übt heftige Kritik an den Sicherheitsvorkehrungen in türkischen Bergwerken. Experten fragen: Wieso konnten Aufzüge und Belüftung komplett ausfallen? Fehlten Fluchtwege?

Das Unglück passierte ausgerechnet beim Schichtwechsel. Zu keinem anderen Zeitpunkt sind so viele Menschen zugleich unter Tage. Knapp 800 Arbeiter waren in der Zeche, als das Feuer ausbrach – der schlimmste Feind der Bergleute. Das Ausmaß des Unglücks ist offenbar noch schlimmer als beim bislang schwersten Grubenunglück in der Türkei im Jahr 1992 – damals starben 263 Menschen.

Die türkische Bergbauingenieurin Tansel Dogan hat 2011 die Zeche im westtürkischen Soma besucht. Im Auftrag der DMT in Essen nahm sie unter Tage Gasuntersuchungen vor als Vorbereitung für eine Absauganlage. Gravierende Sicherheitsmängel seien ihr nicht aufgefallen, sagte sie dieser Zeitung. „Ich hatte einen positiven Eindruck.“

Dennoch stellen sich ihr und anderen Experten schwerwiegende Fragen: „Täglich werden die elektrischen Anlagen der Zeche überprüft, denn das ist überlebenswichtig“, sagt Dogan. Warum dennoch der Transformator brannte und keine Notstromversorgung einsetzte, ist ihr ein Rätsel.

Immer wieder Verstöße

Rasch wurde massive Kritik an den Zuständen in den türkischen Zechen laut. „Die Katastrophe in Soma ist das jüngste Glied in einer langen Kette schrecklicher Grubenunfälle in der Türkei“, sagt Michael Vassiliadis, Chef der deutschen Bergbau-Gewerkschaft (IG BCE). Es gebe immer wieder Verstöße gegen die Sicherheitsbestimmungen, Mindestvorschriften im Arbeits- und Gesundheitsschutz würden nicht eingehalten. „Hier werden auch die Gewerkschaftsrechte mit Füßen getreten.“

In der Türkei betreiben auch die NRW-Energiekonzerne Eon und Steag Kohlekraftwerke. Sie beziehen allerdings nach eigenen Angaben keine Kohle aus dem Unglücksbergwerk in Soma.

"Mechanismen in Deutschland greifen"

Ob eine ähnliche Katastrophe wie in der Türkei auch in Deutschland möglich wäre? „Ein vergleichbar schweres Unglück haben wir in Deutschland seit Jahrzehnten nicht erlebt“, sagt Werner Tubbesing, zuständig für Arbeitssicherheit beim deutschen Zechenbetreiber RAG. „Das zeigt, dass die Sicherheitsmechanismen greifen.“ Zuletzt ist 2012 ein Bergmann in einer Kohlenzeche tödlich verunglückt. Tubbesing verweist auf strenge Sicherheitsvorkehrungen: „Wir überwachen rund um die Uhr die Konzentration des Methangases unter Tage. Wenn zu viel Methangas in der Luft liegt, könnte ein explosives Gemisch entstehen. Daher schalten sich die Geräte bei einer zu hohen Konzentration ab.“

Die Suche nach den Ursachen für das Unglück von Soma ist schwierig. Christoph Dauber, Professor für Bergbaukunde an der Technischen Fachhochschule „Georg Agricola“ in Bochum: „Ein Transformator muss in unbrennbaren Bereichen aufgestellt werden. Dort darf es weder Holz noch Kohlenstaub geben“, erklärt er. Wurde das eingehalten?

Viele offene Fragen

Und: „Die Grubenlüfter müssen immer laufen. Sie müssen durch zwei Stromkreise abgesichert werden. Ich habe aber den Eindruck, dass es auch zu einem Ausfall der Grubenlüfter kam.“ Tatsächlich starben viele Bergleute durch Rauchgasvergiftung. Und weiter: Gab es Rettungspläne? Verfügten die Bergleute über Atemluftfilter? Dauber sieht den türkischen Bergbau insgesamt noch nicht auf westlichem Niveau, „der weltweit sicherste Steinkohlenbergbau findet in Deutschland statt – und den schließt man“.

Nach 2018 soll der Rohstoff für deutsche Steinkohlekraftwerke komplett aus dem Ausland kommen. Menschenrechtsorganisationen wie Urgewald und FIAN kritisieren seit Langem die Arbeitsbedingungen in Ländern wie Kolumbien, Russland und Südafrika, deren Kohle hier verfeuert wird.