Neu Delhi. Ein Hindu-Nationalist schickt sich an, Regierungschef Indiens zu werden - unterstützt von Millionen Freiwilligen, die im Gleichschritt marschieren und an die Überlegenheit des Hinduismus glauben. Muslime, Christen und andere religiöse Minderheiten zittern.

Indiens Hindu-Sturmtruppen haben mobil gemacht. Bis zu zehn Millionen Freiwillige zogen in diesem Wahlkampf los und klopften an Abermillionen Türen - in der Wüste von Rajasthan genauso wie in den Megastädten, in abgelegenen Dörfern und an der Tausende Kilometer langen Küste. Überall verkündeten die Männer des "Nationalen Freiwilligen-Korps" (Rashtriya Swayamsevak Sangh/RSS), die Menschen sollten den "Wandel" wählen.

Und "Wandel" heißt für sie Narendra Modi. Der 63-Jährige tritt als aussichtsreichster Premierministerkandidat für die Bharatiya Janata Party (BJP) an, das ist der politische Arm der riesigen Familie von Hindu-Organisationen, zu denen auch der RSS gehört. Seit Jahrzehnten hat der eigentlich unpolitische RSS seine Heerscharen nicht mehr genutzt, um einen Kandidaten zu unterstützen. Bis jetzt.

RSS besteht fast ausschließlich aus männlichen Mitgliedern

"Es war an der Zeit, im großen Stil einzugreifen", sagt RSS-Sprecher Ram Madhav. Indien sei in Gefahr, da die derzeitige Regierung weder für die innere noch die äußere Sicherheit sorge. Auch die Wirtschaft befinde sich in der Krise und die Gesellschaft verkomme. "Diese Wahl könnte ein Wendepunkt sein", meint er. Dass die Wahlbeteiligung diesmal wohl einen Rekord erreiche, sei auch dem RSS zu verdanken.

Seit 88 Jahren ist der RSS, eine nach faschistischem Vorbild gegründete Freiwilligenorganisation, das Fundament des Hindu-Nationalismus in Indien. Die praktisch ausschließlich männlichen Mitglieder treffen sich jeden Morgen auf 45.000 öffentlichen Plätzen im ganzen Land. Dort durchlaufen sie eine Stunde militärischen Drill, machen Yoga und hören die Lehren. "Wir unterrichten sie in Geschichte, reden über unsere Helden, flößen ihnen Patriotismus ein und schaffen Respekt für Indiens uralte Kultur", sagt Madhav.

BJP-Kandidat Modi nahm, wie zahlreiche andere, schon als Kind an diesen Shakhas teil. Nach dem Schulabschluss ließ er dann seine frisch angeheiratete Ehefrau und seine Eltern allein, um sich ganz der RSS-Arbeit zu widmen, wie Modis Biograf Nilanjan Mukhopadhyay erklärt. Dort arbeitete er sich vom Putzmann in die höchsten Ebenen hinauf, ehe er von der Organisation in die Politik geschickt wurde.

Mögliche Machtergreifung erfüllt Minderheiten mit Angst

"Mir ist beim RSS die Erleuchtung gekommen, für die Nation zu leben", sagte Modi jüngst in einem Interview der Sendergruppe ETV. "Ich verdanke dem RSS alles." Diese Karriere ist kein Ausnahmefall, vielmehr sind zahlreiche frühere RSS-Kader in der Partei, darunter auch Ex-Regierungschef Atal Bihari Vajpayee.

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Die wahrscheinliche Machtergreifung einer Gruppe, die die Dominanz des Hinduismus über alle anderen Religionen in dem Riesenreich propagiert, erfüllt die Minderheiten mit Angst. Mindestens 13 Prozent der Inder sind Muslime; hinzu kommen Christen, Sikhs, Buddhisten, Jains und unzählige Religionen von Stammesvölkern. "Modi erzeugt Hass unter den Menschen. Deswegen kommt es zu blutigen Ausschreitung", sagt der Muslim Asif Khan, Schulleiter in Ahmedabad in Gujarat.

Nach Unruhen konnte BJP komfortabel gewinnen

Dort bekämpften sich im Jahr 2002 Hindus und Muslime wochenlang. Mehr als Tausend Menschen starben, mehr als 100.000 - zumeist Muslime - flohen in Lager. Modi war damals Regierungschef in Gujarat - doch die Polizei war oft nirgendwo zu sehen, als die Mobs wüteten.

Die Soziologin Raheel Dhattiwala fand heraus, dass die Gewalt überall dort ausbrach, wo die BJP politisch am meisten von dem geschürten Hass auf Muslime profitieren konnte. Das klappte: Nach den Unruhen gewann die Partei komfortabel. "Das war hier ein Forschungslabor, nun wird Modi es auf der nationalen Ebene machen", sagt Schulleiter Khan.

Das glaubt auch Rajiv Dubey, ein RSS-Freiwilliger in der kleinen nordindischen Stadt Tundla. "Wenn Narendra Modi eine Mehrheit bekommt, kann er alles machen: den Ram-Temple in Ayodhya bauen (wo radikale Hindus eine Moschee zerstörten), die Einwanderer aus Bangladesch rausschmeißen und Pakistan seinen Platz zuweisen." (dpa)