Berlin. Der scheidende DGB-Chef Sommer blickt insgesamt zufrieden zurück. Die innergewerkschaftlichen Querelen um die Agenda-Politik sind überwunden. Der gesetzliche Mindestlohn erscheint nach zehnjährigem Kampf wie ein «Abschiedsgeschenk» der Politik für Sommer.
Politisch läuft derzeit vieles nach dem Geschmack der Gewerkschaften: Der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro und die abschlagfreie Rente mit 63 sind so gut wie beschlossen. Die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen soll weiter gestärkt werden. Und aus der Koalition gibt es Zusagen, die Mitwirkungsrechte der Betriebsräte bei Leiharbeit und Werkverträgen zu stärken.
Der scheidende Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Michael Sommer (62), kann deshalb insgesamt zufrieden auf zwölf Jahre Amtszeit zurückblicken. Auf dem an diesem Sonntag in Berlin beginnenden DGB-Bundeskongress reicht er den Stab an seinen designierten Nachfolger Reiner Hoffmann (58) weiter.
Erfolgsbilanz: Mindestlohn jetzt im Regierungsprogramm
Zehn Jahre kämpfte Sommer für den Mindestlohn und darum, dass auch alle acht Einzelgewerkschaften geschlossen mitzogen. Es gelang. Beim DGB-Bundeskongress vor vier Jahren hatte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) als Gastrednerin einen gesetzlichen Mindestlohn noch kategorisch abgelehnt. Jetzt steht er im Regierungsprogramm.
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Diesmal kommt Merkel nicht, dafür aber der Bundespräsident. Er spricht zur Eröffnung zu den Delegierten. In den Tagen danach machen alle Bundestagsfraktionen ihre Aufwartung - mit dabei auch Arbeitsministerin Andrea Nahles, Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (beide SPD) und CDU-Generalsekretär Peter Tauber.
Eine ganze Woche werden die 400 Delegierten beim 20. «Parlament der Arbeit» ein dickes Bündel von Anträgen beraten und den politischen Kurs ihrer Dachorganisation für die kommenden vier Jahre festlegen. Zentraler Punkt: eine neue Ordnung der Arbeit.
DGB stand grundsätzlich in Frage
«Die deutsche Gewerkschaftsbewegung ist wieder erstarkt. Unsere Solidarität hat manchem Sturm getrotzt», sagt Sommer heute. 2008 stand gar die Existenz des gewerkschaftlichen Dachverbandes auf der Kippe: Damals stellte der Chef der mächtigen IG Metall, Berthold Huber, den DGB grundsätzlich in Frage. Sommer konnte das Aus mit einer Organisationsreform abwenden.
Auch wenn die DGB-Mitgliederzahl trotz leichten Zuwächsen bei fünf Gewerkschaften unter dem Strich noch immer leicht sinkt - die großen Abgänge der Vorjahre sind gestoppt. 6,143 Millionen organisierte Arbeitnehmer zählte der DGB Ende 2013. Das ist um ein Vielfaches mehr als alle politischen Parteien in Deutschland an Mitgliedern zählen. Beim Nachwuchs bis 27 gab es sogar ein Plus von 2,6 Prozent.
Der ehemalige Postgewerkschaftler Sommer betont, dass er nach zwölf Jahren an der Spitze freiwillig geht. Nach Operationen an Magen und Galle und Spende einer Niere für seine Frau privatisiert er künftig. In der Großorganisation DGB war er nicht unumstritten, ist aber mit seinen Gegnern heute im Reinen. Unter dem SPD-Mitglied Sommer ist der DGB parteipolitisch wieder unabhängiger geworden. Mit der Kanzlerin pflegt Sommer heute ebenso intensive Kontakte wie mit dem SPD-Chef. Bei «Agenda-Kanzler» Gerhard Schröder (SPD) war das anders.
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Herausforderung Agenda-Politik
Die 2003/2004 von Schröder und Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD) eingeleiteten Hartz-IV-Reformen, später auch die von Union und SPD gemeinsam durchgesetzte Rente mit 67, setzten den DGB einer gefährlichen Zerreißprobe aus. Als Sommer im Frühjahr 2005 sagte, die Gewerkschaften dürften keine «betonköpfigen Bewahrer» sein, stieß das bei anderen Gewerkschafts-Chefs sauer auf. «In der Agenda-Zeit war ich nicht gut, um das ganz hart zu sagen», urteilte Sommer jüngst selbstkritisch in der «FAS». «Statt eine gemeinsame Linie zu finden, habe ich mal nach rechts und mal nach links geblinkt.»
In den Auseinandersetzungen um die Agenda-Politik sieht Sommer rückblickend für den DGB aber auch etwas Gutes: Das Modell der parteipolitisch unabhängigen Einheitsgewerkschaft wurde gestärkt. Seit 2005 verzichtet der DGB vor Bundestagswahlen auf die Stimmempfehlung für eine Partei.
Sein designierter Nachfolger Hoffmann - er tritt zur Wahl ohne Gegenkandidat an - kommt wieder von einer kleinen Gewerkschaft, der eher konservativ pragmatischen IG Bergbau, Chemie, Energie. Der studierte Ökonom arbeitete sich vom IG-BCE-Bezirksleiter hoch zum Vize-Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes in Brüssel. In Berlin ist Hoffmann bislang noch wenig bekannt. Mit einer Grundsatzrede wird der neue Vorsitzende am kommenden Dienstag klar machen, wohin er den DGB in den kommenden vier Jahren führen will. (dpa)