Essen. Statt auf eigene Erfolge hinzuweisen und Ziele für die Zukunft aufzuzeigen, machen die aktuellen Wahlplakate oftmals gezielt Stimmung mit Ängsten der Bürger. War dies bislang eine von kleinen Parteien geübte Praxis, greifen im Kommunal-Wahlkampf auch etablierte Parteien auf diese Methode zurück.

Kaum länger als zwei bis drei Sekunden nimmt sich ein Passant Zeit für ein Wahlplakat, wissen Werbepsychologen. In dieser kurzen Zeitspanne muss es beim Betrachter „klick!“ gemacht haben – oder die Botschaft verpufft. Auffallend ist, dass einige Kampagnen gezielt an die Gefühle der Menschen appellieren und mit möglichst aggressiven Parolen Ängste wecken wollen, um die Bürger zur Wahl ihres Kandidaten zu motivieren.

Wiederkehrende Themen sind in dem aktuellen Europa- und Kommunalwahlkampf die Furcht vor Überfremdung und Zuwanderung, die Brüsseler Bürokratie und die vermeintliche „Fremdbestimmung“ durch einen anonymen Verwaltungs-Apparat sowie die Angst vor Kriminalität und Gewalt.

Die kleinen Parteien brauchen Aufregung

Verpackt werden diese Themen in Slogans wie „Keine Macht den Eurokraten“ (AfD), „Eine Europa der Demokratie. Nicht der Bevormundung“ (SPD) oder „Armut stoppen! Reichtum teilen“ (Linke). Kräftiger langen die Parteien von den Rändern des politischen Spektrums zu: „Bürgerwut stoppt Asylantenflut“ plakatiert etwa das rechtsextremischische Bündnis Pro NRW. Der von „Wohlfühl-Wahlkämpfen“ eingeschläferte Bürger reibt sich die Augen.

Polit-Prominenz und Schnurrbart-Bingo auf Wahlplakaten

Für die CDU Essen ist das Internet längst kein Neuland mehr. Hier werden sogar Hashtags verwendet, ob sie nun Sinn ergeben oder nicht.
Für die CDU Essen ist das Internet längst kein Neuland mehr. Hier werden sogar Hashtags verwendet, ob sie nun Sinn ergeben oder nicht. © Kerstin Kokoska / WAZ FotoPool
Auch die Sparkasse stellt sich offensichtlich zur Wahl. Jedenfalls erinnert das biedere Plakatmotiv, mit dem die Bochumer SPD auf Stimmenfang geht, frappierend an die Fernsehspots der Bank.
Auch die Sparkasse stellt sich offensichtlich zur Wahl. Jedenfalls erinnert das biedere Plakatmotiv, mit dem die Bochumer SPD auf Stimmenfang geht, frappierend an die Fernsehspots der Bank.
Tiere gehen ja immer. Und Katzen ja sowieso. Noch mehr Aufmerksamkeit geht nur mit Katzen hinter Gittern. Chapeau, liebe Grüne in Gladbeck! Das Plakat ist zwar nicht originell, aber man guckt unwillkürlich hin.
Tiere gehen ja immer. Und Katzen ja sowieso. Noch mehr Aufmerksamkeit geht nur mit Katzen hinter Gittern. Chapeau, liebe Grüne in Gladbeck! Das Plakat ist zwar nicht originell, aber man guckt unwillkürlich hin. © Lutz von Staegmann / WAZ FotoPool
Klingt ein bisschen wie frisch aus dem Bullshit-Bingo-Generator, was die CDU Rees sich da auf die Fahnen, respektive aufs Wahlplakat geschrieben hat:
Klingt ein bisschen wie frisch aus dem Bullshit-Bingo-Generator, was die CDU Rees sich da auf die Fahnen, respektive aufs Wahlplakat geschrieben hat: "Gemeinsam Zukunft unternehmen." Wenigstens tritt man damit niemandem auf die Füße.
Das haben sich wohl auch die Wittener Sozialdemokraten gedacht. Sie plakatierten fröhlich
Das haben sich wohl auch die Wittener Sozialdemokraten gedacht. Sie plakatierten fröhlich "Frohe Ostern!" Das hilft zwar nicht bei der Wahlentscheidung, kommt aber besser an als der trockene "Raus aus den Schulden"-Slogan der örtlichen CDU. © Thomas Nitsche
Mit derart banalen Slogans geben sich die Piraten nicht ab, hier geht es um knallharte Inhalte - und irgendwas mit Internet:
Mit derart banalen Slogans geben sich die Piraten nicht ab, hier geht es um knallharte Inhalte - und irgendwas mit Internet: "Update für Essen". © Sebastian Konopka
"Never change a winning team!", scheint das Motto der Marxisten zu sein. Auf welchem Listenplatz stehen die abgebildeten Jungs wohl? © Thomas Nitsche
Haben sie das versteckte Thema auf diesem Wahlplakat erkannt? Es geht um Nachhaltigkeit. Denn dieses Motiv, da können Sie sicher sein, kann man auch zur nächsten Wahl noch verwenden. Und zur übernächsten und zur...
Haben sie das versteckte Thema auf diesem Wahlplakat erkannt? Es geht um Nachhaltigkeit. Denn dieses Motiv, da können Sie sicher sein, kann man auch zur nächsten Wahl noch verwenden. Und zur übernächsten und zur... © Lut von Staegmann / WAZ FotoPool
Ihr lebt also Bochum, liebe CDU. Und der Wähler so: Hä? Aber immerhin schön, dass jeder von euch auf dem Plakat Platz gefunden hat.
Ihr lebt also Bochum, liebe CDU. Und der Wähler so: Hä? Aber immerhin schön, dass jeder von euch auf dem Plakat Platz gefunden hat. © Olaf Ziegler / WAZ FotoPool
Die Botschaft der Genossen in Gelsenkirchen lautet: Frank! Nicht verstanden? FRANK! Wenn es einer richten kann, dann er, Frank Baranowski. Da muss den Konkurrenten erst mal was besseres einfallen!
Die Botschaft der Genossen in Gelsenkirchen lautet: Frank! Nicht verstanden? FRANK! Wenn es einer richten kann, dann er, Frank Baranowski. Da muss den Konkurrenten erst mal was besseres einfallen! © Martin Möller / WAZ FotoPool
"Wachstum" und "Arbeit" steht auf deren Plakaten. Schon mal nicht schlecht, aber ein Schlagwort aus dem Standard-Repertoire der CDU fehlt noch, oder? © Martin Möller / WAZ FotoPool
Richtig:
Richtig: "Sicherheit", das haben dann die Essener Christdemokraten verwertet. © Gerrit Dorn
Und irgendwas mit Kindern. Geht ja auch immer.
Und irgendwas mit Kindern. Geht ja auch immer. © Kerstin Kokoska / WAZ FotoPool
Und wer sonst nichts zu sagen hat, der plakatiert seine Stars aus der ersten Reihe. Ob sie nun Angela Merkel heißen (in Oberhausen), ...
Und wer sonst nichts zu sagen hat, der plakatiert seine Stars aus der ersten Reihe. Ob sie nun Angela Merkel heißen (in Oberhausen), ... © Tom Thöne / WAZ FotoPool
...Sahra Wagenkneckt (in Gladbeck) oder...
...Sahra Wagenkneckt (in Gladbeck) oder... © Lutz von Staegmann / WAZ FotoPool
...Hans-Josef Winkler (in Wattenscheid. Wer? Ach, egal.
...Hans-Josef Winkler (in Wattenscheid. Wer? Ach, egal.
Das Essener Bürgerbündnis steht für die Extreme. Nicht unbedingt politisch, aber bei der Gestaltung seiner Plakate. Entweder, wie hier, Bleiwüste ohne Köpfe oder...
Das Essener Bürgerbündnis steht für die Extreme. Nicht unbedingt politisch, aber bei der Gestaltung seiner Plakate. Entweder, wie hier, Bleiwüste ohne Köpfe oder... © Gerrit Dorn
...alle Köpfe, derer man habhaft werden konnte. Dieses Motiv beinhaltet eine Spielidee: Wer zuerst vier nebeneinanderliegende Schnurrbärte findet, ruft Bingo! und gewinnt.
...alle Köpfe, derer man habhaft werden konnte. Dieses Motiv beinhaltet eine Spielidee: Wer zuerst vier nebeneinanderliegende Schnurrbärte findet, ruft Bingo! und gewinnt. © Gerrit Dorn
Nicht schlecht, liebe SPD, ihr könnt ja sogar kontextsensitive Plakatierung: Das Plakat zum bezahlbaren Wohnraum hängt an einem Baugerüst in Essen-Rüttenscheid.
Nicht schlecht, liebe SPD, ihr könnt ja sogar kontextsensitive Plakatierung: Das Plakat zum bezahlbaren Wohnraum hängt an einem Baugerüst in Essen-Rüttenscheid. © Gerrit Dorn
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Dass kleine Parteien mit aggressiven Parolen auf sich aufmerksam machen wollen, sei nicht unüblich, meint Martin Florack, Politikwissenschaftler an der Universität Duisburg-Essen. „Die Kleinen brauchen die Aufregung. Das Schlimmste, was ihnen passieren kann, ist, wenn sich niemand über sie aufregt.“ Sie arbeiten daher häufig mit Parolen, die Vorurteile und Ressentiments bedienen. Bei den großen Parteien verbiete sich indes eine solche Strategie. Dennoch sei die CDU in Duisburg offenbar diesen Weg gegangen, „das schreckt das klassische Wählerklientel eher ab“, glaubt Florack.

Spiel mit der Bedrohung

Auf der anderen Seite versuchen die Parteien, mit Schreckens-Szenarien die Bürger mit ihren Sorgen und Ängsten abzuholen, glaubt Henrik Schober, Journalist und Politikwissenschaftler an der Hertie School of Governance in Berlin. „Ordnung und Sicherheit sind Grundbedürfnisse, die für viele Menschen auch in ihrer Wahlentscheidung sehr wichtig sind. Dies greifen die Plakate auf, indem sie Bilder zeigen, die mit Verunsicherung einhergehen.“ Etwa der bedrohliche Einbrecher (Bürgerliste Dortmund) oder die Schlaglöcher in den Straßen (FDP).

Dies nutze vor allem Parteien, die für traditionelle und konservative Werte stehen. Zudem werde der Eindruck vermittelt, die jeweilige Partei kenne die Sorgen der Menschen und wisse um die beste Lösung. Das Spiel mit der Bedrohung durch mögliche Krisen funktioniere selbst in guten und sicheren Zeiten. Dann legen es die Wahlplakate darauf an, den Bürgern zu vermitteln: Das kann sich alles ganz schnell wieder ändern.