Brüssel. Die Ukraine-Krise hat die schläfrige Nato aufgeschreckt. Doch mit Genugtuung, dass alle Welt das Bündnis auf einmal wieder als Schlüssel-Faktor der internationalen Politik begreift, kann sich die Allianz nicht lange aufhalten. Gefragt ist eine glaubwürdige Strategie gegen Putins Großmacht-Streben.

Auf das Stichwort „die Nato lebt – dank Putin“ reagieren manche in der Brüsseler Bündnis-Zentrale pikiert. „Wir haben auch in der Vergangenheit nicht unter Arbeitsmangel gelitten“, meint eine Diplomatin. Mal habe halt die gemeinsame Verteidigung dominiert, mal das „kooperative Sicherheitsmanagement“, also Einsätze auch außerhalb des Gebietes der 28 Verbündeten. Es ist freilich lang her, dass das Kerngeschäft des gegenseitigen Beistands derart im Vordergrund steht wie in diesen Tagen, nach der russischen Annexion der Krim.

Dabei legen sie im Bündnis Wert darauf, nicht die Hauptzuständigen zu sein. In erster Linie gefragt seien die internationalen politischen Organisationen, vor allem die EU und die Vereinten Nationen. Die Ukraine sei nun mal kein Nato-Mitglied, eine militärische Lösung der Krise undenkbar. Beides hatte US-Präsident Barack Obama vergangene Woche auf seinem Brüssel-Besuch erneut unterstrichen: Was den Einsatz von „hard power“, also militärischer Mittel, anlangt, verläuft eine scharfe rote Linie zwischen denen die als Verbündete drin sind und den anderen.

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Demonstrative Solidarität mit Polen

Zwar hat die Nato 2008 auf ihrem Gipfel in Bukarest der Ukraine und Georgien die Mitgliedschaft zugesichert; zwar gilt das nach offizieller Darstellung unverändert. Nur sei das bis auf weiteres „kein Thema, das uns beschäftigt“, heißt es. Genauso wenig übrigens wie die umgekehrte Frage, ob die Ukraine womöglich dem Beispiel Österreichs folgen und den Weg der „selbstgewählten Neutralität“ beschreiten solle.

Zu drei Dingen fühlt sich die Nordatlantische Allianz unter diesen Umständen verpflichtet: Demonstrative Solidarität mit Polen und dem Baltikum, den Frontstaaten im Schatten Russlands, Unterstützung der Ukraine, Isolierung Russlands. Der erste Punkt ist der wichtigste, an ihm hängt die Glaubwürdigkeit der gesamten Allianz. Es ist die moderne Version der Musketier-Parole „einer für alle, alle für einen“. Nur wenn jeder Gegner, also im gegebenen Fall Russland – sicher sein kann, dass er es im Zweifel mit dem gesamten Bündnis zu tun bekommt, funktioniert die Abschreckung.

Auch Deutschland überwacht nun baltischen Luftraum

Dazu wird vor allem die gemeinsam organisierte Überwachung des Luftraums der drei baltischen Staaten hochgefahren. Sie haben keine eigene Luftwaffe, die Nato-Partner übernehmen diese Aufgabe im Turnus von jeweils vier Monaten. Derzeit sind die USA verantwortlich, ab Mai die Polen. Nach Amerikanern, Briten, Franzosen, Dänen und Portugiesen haben nun auch die Deutschen Bereitschaft erklärt, sich außerplanmäßig mit Jagdflugzeugen zu beteiligen. Außerdem will Berlin ein Minensuchboot zur Verfügung stellen.

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Weil es sich nur um die Verstärkung einer bestehenden Routine handle, sei das „keine Eskalation“, versichern Bündnis-Diplomaten. Es fragt sich aber, ob es dabei bleibt. Das wollen die Außenminister auf ihrem Treffen beraten und die Prüfung weiterer Maßnahmen durch die Militärs in Auftrag geben. Dabei gehe es „sowohl um mehr wie um länger“ – offenbar auch um mögliche dauerhafte Truppen-Stationierung in den Frontstaaten. Die geplanten Unterstützungsmaßnahmen für die Ukraine zielen vor allem auf Ausbildung und Beratung beim Aufbau eines Militärapparats nach westlichen Vorstellungen.

Um die Regierung des russischen Präsidenten Wladimir Putin zu isolieren, wird die seit anderthalb Jahrzehnten auf vielen Ebenen praktizierte Kooperation auf Eis gelegt. Diplomatische Treffen auf Arbeitsebene soll es vorerst nicht mehr geben. „Die Partnerschaft hängt bedauerlicherweise in der Luft“, hieß es. Die rund 70 Russen, die ihr Land in der Nato-Zentrale repräsentieren und dort nach den USA und Deutschland die drittgrößte Delegation stellen, dürfen hingegen bleiben – nach den geltenden internationalen Vereinbarungen sind sie gegen Rausschmiss geschützt.