Bonn. . Nach einem gescheiterten ersten Anlauf zur wissenschaftlichen Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche hat die Deutsche Bischofskonferenz ein neues Forschungsprojekt gestartet. An Stelle des Kriminologischen Forschungsinstituts Hannover beauftragte die Deutsche Bischofskonferenz diesmal eine Gruppe von Wissenschaftlern. Sie beteuern, diesmal frei arbeiten zu können.

„Die Kirche hat im Umgang mit sexuellem Missbrauch stets den Ruf der Kirche und die Interessen der Täter über den Schutz der Kinder gestellt.“ Zu diesem drastischen Urteil kam erst kürzlich eine Kommission der Vereinten Nationen, die die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche unter die Lupe genommen hatte. Heute, wenige Wochen später, sagt der Trierer Bischof Stephan Ackermann: „Wir wollen Klarheit und Transparenz über diese dunkle Seite in unserer Kirche.“

Für Ackermann ist es als „Beauftragter der Bischofskonferenz für Fragen sexuellen Missbrauchs an Minderjährigen in der Kirche“ der zweite Anlauf, diesen Skandal aufzuarbeiten. Anfang 2013 hatten die Bischöfe die Kooperation mit dem Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen und dessen Chef Christian Pfeiffer nach einem Zerwürfnis aufgekündigt. Es folgten gegenseitige Schuldzuweisungen, juristische Auseinandersetzungen. Pfeiffer sprach von „Zensur“. Am Ende blieb hängen: Die katholische Kirche hat es wohl doch nicht so mit der Transparenz, was dieses dunkle Kapitel angeht.

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Unabhängig und streng wissenschaftlich

Nun soll ein siebenköpfiges Gremium hochrangiger Universitäts-Professoren mit dem Mannheimer Harald Dreßing vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit an der Spitze den sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche in den nächsten dreieinhalb Jahren aufarbeiten.

Mit dabei sind Kriminologen, Psychologen ebenso wie Soziologen. Ackermann hofft nun, „dass wir nicht auf ein ähnliches Desaster zugehen“ wie bei der Kooperation mit Pfeifer. Die Bischofskonferenz habe da „einen Lernweg“ hinter sich.

Dreßing zeigte bei der Vorstellung des Forschungsprojekts sofort an, wie er seine Arbeit angehen will. Zusammen mit seinen Kollegen werde er „völlig unabhängig und nach strengen wissenschaftlichen Kriterien“ vorgehen. Dreßing: „Wir sind frei.“ Das soll wohl heißen: Eine Einengung seiner Arbeit durch die Kirche, wie Pfeiffer sie beim gescheiterten Projekt beklagt hatte, wird es diesmal nicht geben.

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Gespräche mit Tätern, Opfern und Kirchenvertretern

Es gehe darum, so Dreßing, „den sexuellen Missbrauch sowohl für die Betroffenen als auch für die Öffentlichkeit so transparent wie möglich zu machen. Die Professoren planen neben der Auswertung von Strafakten unter anderem auch „Interviews mit Opfern, Tätern und Kirchenverantwortlichen“.

Wie sehr die Opfer auch Jahre nach dem Missbrauch noch leiden, hat gerade erst ein neu erschienenes Buch mit dem Titel „Unheiliger Berg“ eindrücklich dargelegt. Darin schildern 13 ehemalige Schüler des Bonner Jesuiten-Gymnasiums Aloisiuskolleg ihren Missbrauch.

Auch hierbei ist die Aufarbeitung nicht unumstritten: Seit die Fälle in dem Kolleg 2010 publik wurden, ringen der Jesuiten-Orden, die Schule und die Opfer um Aufklärung und Wiedergutmachung. Und immer noch, so klagen Betroffene, gebe es mit der Kirche keinen Dialog auf Augenhöhe.

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„Wir wollen eine ehrliche Aufklärung“

Der Missbrauchs-Beauftragte Ackermann verspricht nun, dass es bei dem gerade gestarteten Forschungsprojekt keine Hinhaltetaktik seitens der Kirche geben werde: „Wir wollen eine ehrliche Aufklärung, frei von falscher Rücksichtnahme. Die Opfer haben ein Recht darauf.“

Gleichwohl dürfte es bei dem neuen Projekt nicht vorrangig um die Opfer gehen. Man werde sich „ausführlich mit Tat und Täter auseinandersetzen“, betonte der Heidelberger Forscher Andreas Kruse, der dem siebenköpfigen Konsortium angehört. Denn für die Aufarbeitung sei es wichtig, die „Lebensumstände“ der Täten zu untersuchen.

Man könne „die Tat nicht losgelöst von der Biografie“ des Täters sehen. Es gehe darum, Strukturen in der Kirche offenzulegen, die eventuell sexuellen Missbrauch fördern. „Es ist nicht das Ziel unserer Arbeit, etwas wiedergutzumachen“, betonte Dressing. Das muss die Kirche leisten.