Berlin.. Im Bundestag will der Grüne-Fraktionsvorsitzende Anton Hofreiter Öko-Kernthemen wieder verstärkt thematisieren. Er kritisiert, wie sich Konzerne und Parteien einen Öko-Anstrich verpassen. Das bringe die Energiewende in Gefahr. Ein Interview.

Äußerlich erinnert er zwar an die Grünen-Gründerzeit – doch der 44-jährige promovierte Biologe aus Bayern, profilierte Verkehrsexperte und Parteilinke verkörpert einen deutlichen Generationswechsel in der Grünen-Spitze. Und einen neuen Stil.

Herr Hofreiter, was verbinden Sie mit der Farbe Grün?

Anton Hofreiter: Ich bin Biologe, da steht Grün stark für Natur. Aber Grün ist auch die Farbe der Hoffnung. Und da ich seit vielen Jahren für die Grünen Politik mache, steht Grün natürlich genauso für Politik.

Schon mal den Wunsch gehabt nach einem anderen Leben – weniger Büro, mehr Natur? 

Hofreiter: Ich gehe sehr viel in die Berge, wann immer ich kann, und reise immer noch in die Tropen – als Biologe lag mein Arbeitsschwerpunkt bei der Artenvielfalt im südamerikanischen Andenraum. Aber auch mein jetziges Leben ist extrem spannend. Bei den Grünen mache ich Politik, seit ich 16 Jahre alt bin.

Grün scheint Trendfarbe zu sein –  in der Wirtschaft und der Politik versuchen viele, sich einen grünen Anstrich zu geben. Fortschritt oder Tarnung?

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Hofreiter: Beides. Es ist ein Erfolg dass nur noch wenige Akteure grüne Politik offen zu bekämpfen wagen. Aber es ist zum Teil auch nur Camouflage: Einige Unternehmen oder politische Organisationen betreiben lediglich „Greenwashing“, ohne dahinter zu stehen. Bestes Beispiel dafür ist die Bundesregierung.

Wieso?

Hofreiter: Sie spricht zwar immer von der Energiewende, setzt sie aber nur widerwillig um, deshalb läuft bei diesem entscheidenden Projekt so viel schief – und im Ausland tritt die Regierung sogar so auf, als hätte das Thema gar keine große Bedeutung. Bei der Union, vor allem bei Frau Merkel persönlich und auch bei der SPD ist immer mehr Camouflage beim  Klimaschutz zu beobachten, während die Überzeugung deutlich abgenommen hat. Der Konsens im Problembewusstsein ist aufgebrochen.

Das ist doch eine Chance für Ihre Partei: Sie verkörpern bei den Grünen den Trend, die alten Kernkompetenzen zu stärken: Umwelt- und Klimapolitik. Werden die Grünen wieder grüner?

Hofreiter: Wenn man sich die aktuelle Vierer-Führungsriege der Grünen in Partei und Fraktion anschaut, sind dort mit Parteichefin Peter und mir jetzt zwei Biologen vertreten, das gab es noch nie. Das sind natürlich biografische Zufälle, aber mit einem Biologiestudium hat man bei ökologischen Themen einen anderen Zugang. Die systemischen Probleme wie Klimakatastrophe oder Artensterben entwickeln sich schneller und bedrohlicher als wissenschaftlich erwartet wurde – aber anstatt dies entschieden zu bekämpfen, machen die anderen Parteien eher einen Rückschritt.

Hofreiter kritisiert Sigmar Gabriels Eckpunkte-Entwurf

Bei der Energiewende scheint Vizekanzler Gabriel dafür immerhin ein breiter Konsens zu gelingen.

Hofreiter: Gabriels Eckpunkte-Entwurf ist kein guter Kompromiss: Der Ausbaupfad für Ökostrom der Großen Koalition ist sogar deutlich kleiner als der von Schwarz-Gelb. Die Ausbauraten sind zum Teil zusammengebrochen, es traut sich kaum mehr jemand zu investieren. Die Unternehmen haben keine Planungssicherheit mehr, es droht ein Fadenriss. Mit einer Altindustrie würde die Koalition nie  so umgehen – dabei sind auch viele Ökostromvorhaben große Industrieprojekte, da ignoriert die Koalition den technischen Fortschritt.

Gilt Ihr Kooperationsangebot dennoch?

Hofreiter: Das gilt weiterhin. Wir stellen in den Ländern sieben Energieminister. Das Projekt ist zu wichtig, als dass man wegen einer schlechten Vorlage gleich aufgibt. Wir wollen wenigstens die Infrastruktur der Energiewende retten.

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Welche Rolle sehen Sie da noch für Energiegiganten wie RWE oder Evonik,  die lange auf Atomkraft und Kohle gesetzt haben?

Hofreiter: Vor fast 15 Jahren wurde der Atomausstieg beschlossen, diese Jahre haben sie schlicht verschlafen. Aber sie haben trotzdem großes Wissen und Kapitalkraft. Wenn sie wollen, haben sie eine Zukunft: Einerseits in vielen  Bereichen der Erneuerbaren Energien, bei Offshore-Windparks zum Beispiel. Sie können andererseits Kraftwerkskapazitäten bereithalten, um das Netz zu stabilisieren. Aber viele Beteiligte auch in der Industrie haben den Atomausstieg noch nicht wirklich begriffen: Intellektuell wird er verstanden, aber emotional noch immer nicht akzeptiert – das gilt für große Energieversorger wie für Teile der Union.

Hofreiters rechnet mit neuer Regierung ab

Die Regierung ist fast hundert Tage im Amt  - wie ist Ihre Bilanz?

Hofreiter: Beim Thema Ukraine hat vor allem Außenminister Steinmeier nach leichten Anfangsschwierigkeiten seine Rolle und den richtigen Ton gefunden. Als Bürger kann man sich beruhigt fühlen, dass jemand wie Steinmeier in dieser Krise Verantwortung trägt. Aber der Kontrast zur Innenpolitik ist immens: Von der Energiewende über die Rentenpolitik bis zu Mindestlohn und Optionszwang – alle größeren Vorhaben enden im Streit und mit wenig überzeugenden Ergebnissen. Und die Edathy-Friedrich-Oppermann-Affäre hat den Vertrauensverlust noch beschleunigt.

Und hundert Tage Opposition – sind Sie zufrieden mit der Rolle der Grünen?

Hofreiter: Ja. Unser Konzept der konstruktiven Opposition geht auf – sowohl in der öffentlichen Wahrnehmung als auch intern.

Aber das Verhältnis zur Linken in der Opposition ist kompliziert, beim Thema Ukraine gab es sogar hässlichen Streit…

Hofreiter: Das ist vor allem eine innerparteiliche Auseinandersetzung bei der Linken. Ihr dogmatischer Teil hat Angst vor dem Regieren. Seit die SPD rot-rot-grüne Koalitionen für vorstellbar hält, versucht der dogmatische Flügel der Linken alles, um das zu verhindern. Das zielt weniger auf Grüne und SPD, sondern ist von der Angst getrieben, das eigene Programm auf Regierungstauglichkeit zu überprüfen.

Ist Rot-Rot-Grün noch realistisch?

Hofreiter: Das wird man sehen, es sind ja noch dreieinhalb Jahre Zeit. Und es gibt auch positive Zeichen aus der Linkspartei, z.B. beim Europaparteitag. Für die Demokratie wäre es jedenfalls gut, wenn auch eine solche Konstellation möglich wäre.

Und Schwarz-Grün?

Hofreiter: Das ist anders gelagert. Union und  Grüne wollen ja regieren. Die Frage ist eher, ob man ausreichend gemeinsame Inhalte findet, damit es für die drei Parteien tragfähig ist. Gerade im Umweltbereich müsste die Union aber wieder sehr viel progressiver werden, damit das der Fall wäre.