Washington. Die amerikanische NSA hat offenbar eine riesige Datenbank aller Telefonate eines Landes angelegt. Jeder Anruf werde aufgezeichnet und für mindestens 30 Tage gespeichert, heißt es in einem Bericht der Washington Post. Um welches Land es sich handelt, ist noch nicht bekannt.

Die NSA kann offenbar auch in die Vergangenheit horchen: Der US-Geheimdienst verfügt einem Zeitungsbericht zufolge über die Fähigkeit, alle Telefonate eines ganzen Staates aufzuzeichnen und bis zu einem Monat lang zu speichern.

Damit könne die NSA die Telefongespräche rückwirkend belauschen, schrieb die "Washington Post" am Dienstag auf ihrer Internetseite. Das Blatt stützte sich bei den Recherchen auf Dokumente des früheren US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden.

Funktion wie "Zeitmaschine"

Das gewaltige Überwachungsprogramm mit dem Namen "Mystic" funktioniere wie eine "Zeitmaschine", heißt es in dem Bericht. Die NSA schneide "jedes einzelne" Telefonat in einem Land mit und bewahre die Unterhaltungen der jeweils letzten 30 Tage auf. Damit könne der Geheimdienst Gespräche auch dann abhören, wenn er eine verdächtige Person zum Zeitpunkt des Telefonats noch gar nicht im Visier gehabt habe. Möglich mache dies ein "Retro" genanntes Instrument, mit dem NSA-Agenten die gespeicherten Gesprächsinhalte durchsuchen und zurückspulen können.

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Die Datenmengen, die beim Anzapfen des kompletten Telefonnetzes eines Landes anfallen, sind schier unvorstellbar. Laut "Washington Post" lagern auf den Servern der NSA zeitgleich die Aufnahmen von "Milliarden" Telefongesprächen. Mitarbeiter der NSA würden außerdem jeden Monat "Millionen" Mitschnitte mit verdächtigem Inhalt an den Langzeitspeicher des Geheimdienstes schicken.

Name des Landes wird geheimgehalten

Das "Mystic"-Programm begann den Angaben zufolge im Jahr 2009 und wird seit 2011 im vollen Umfang gegen das erste Zielland eingesetzt. Die "Washington Post" erklärte, den Namen dieses Landes auf Bitten der US-Regierung nicht zu nennen. Auch die Information, in welchen Staaten das Programm ebenfalls zum Einsatz kommen könnte, hielt die Zeitung zurück. Im Geheimdiensthaushalt für 2013, den Snowden im vergangenen Jahr enthüllte, finden sich demnach Hinweise auf fünf weitere Staaten. Im vergangenen Oktober habe ein sechstes Land der "Mystic"-Liste hinzugefügt werden sollen.

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Die NSA wollte den Bericht der "Washington Post" auf Nachfrage weder bestätigen noch dementieren. Der Geheimdienst betonte in einer Erklärung aber, dass seine Überwachungsprogramme nicht "willkürlich" seien. Die Privatsphäre von US-Bürgern und Ausländern werde respektiert. Die NSA beklagte sich erneut, dass die "einseitigen Berichte" über die "rechtmäßigen" Spionageprogramme die nationale Sicherheit der USA gefährden würden.

Obama hält an Spähprogrammen fest

Seit Juni vergangenen Jahres gelangten durch Snowden-Enthüllungen eine Reihe von Spähaktivitäten der NSA und verbündeter Geheimdienste ans Licht. So überwachte die NSA auf der Suche nach Terrorverdächtigen nicht nur massenhaft E-Mails und Telefonate von unbescholtenen Bürgern rund um die Welt, sondern hörte auch Spitzenpolitiker aus befreundeten Staaten ab, darunter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Auf die Empörung aus dem In- und Ausland reagierte Obama mit einer Überprüfung der Geheimdienstarbeit.

Eine unabhängige Kommission legte im Dezember mehr als 40 Reformvorschläge vor, die der Präsident aber nur teilweise umsetzt. In einer Rede Mitte Januar versprach Obama unter anderem, ein Programm zur Sammlung der Telefonverbindungsdaten von US-Bürgern in seiner jetzigen Form zu beenden. Außerdem sagte er einen stärkeren Schutz der Privatsphäre ausländischer Bürger zu und verbot die Überwachung eng verbündeter Staats- und Regierungschefs. Grundsätzlich hielt Obama aber an den Spähprogrammen der NSA fest. (afp/dpa)