Berlin/Brüssel. . Ihre Geheimnisse geraten in die Weltöffentlichkeit: Cathrin Ashton, Tayyip Erdogan, US-Staatssekretärin Victoria Nuland oder Angela Merkel müssen damit rechnen, bei vertraulichen Gesprächen belauscht zu werden. Wenn etwas an die Öffentlichkeit gelangt, kann es brisant werden – oder einfach peinlich.
Mal ist es politisch brisant, mal „nur“ peinlich. Und im Extremfall kann es den Betroffenen sogar den Job kosten. Wenn vertrauliche Gespräche hochrangiger Politiker illegal abgehört, mitgeschnitten und für jedermann zugänglich ins Internet gestellt werden, ist die Aufregung groß. Die Fälle häufen sich und über die Verantwortlichen für die Indiskretion gibt es meist nur Spekulationen. Klar dürfte aber inzwischen sein: Nicht nur der US-Geheimdienst NSA zapft Leitungen von Regierungschefs und Ministern an.
Jüngste Opfer eines Lauschangriffs sind die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton und Estlands Außenminister Urmas Paet. In dem Telefonat der beiden Ende Februar ging es um die Ukraine und Paet spekulierte, ob hinter den Scharfschützen, die auf dem Maidan-Platz in Kiew für Tote sorgten, vielleicht nicht Präsident Viktor Janukowitsch, sondern die neue Koalition stehen könnte.
Veröffentlichtes Hintergrundgespräch erwischte estischen Außenminister kalt
Als das Gespräch nun bei Youtube im Internet erschien, waren die neuen Machthaber in Kiew, die Europa doch für sich gewinnen wollen, gar nicht amüsiert. Paet versuchte hektisch, die „Fehlinterpretation“ seiner Worte einzufangen und klagte hilflos: „Es ist äußerst bedauerlich, dass Telefonate abgehört werden.“
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Nur bedauerlich? „Die Ressource Vertrauen ist ein wichtiges Merkmal für die Qualität einer Demokratie“, sagt der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte von der Universität Duisburg-Essen, der in den Indiskretionen eine nicht zu unterschätzende Gefahr sieht: „Wer sich nicht vertraut, wird letztlich entscheidungsunfähig.“
Telefonmitschnitte bringen türkischen Premierminister Erdogan in Bedrängnis
Einer, den Mitschnitte vertraulicher Telefonate gerade in erhebliche Schwierigkeiten bringen, ist der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdogan. Fast täglich tauchen derzeit im Internet illegal aufgezeichnete Gespräche auf, die Erdogan geführt haben soll – mal mit seinem Sohn, den er vor der Polizei warnt, mal mit dem Justizminister, bei dem Erdogan ein hartes Gerichtsurteil gegen einen regierungskritischen Medienunternehmer verlangt.
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Erdogan, der in der Türkei mit harter Hand regiert, sprach von „Verschwörung“ und nannte die Gespräche „unmoralische Montagen“ – bis er nun einräumen musste, dass zumindest zwei Mitschnitte authentisch sind.
Ende März stehen in der Türkei Kommunalwahlen an. Beobachter erwarten, dass bis dahin weitere interne Äußerungen veröffentlicht werden. Allerdings: Wer hinter der Lauschaktion steckt, ist wie im Fall Ashton-Paet völlig unklar.
Wie schnell eine im vermeintlich vertraulichen Gespräch gemachte flapsige Bemerkung zu diplomatischen Verwicklungen führen kann, musste zuletzt Victoria Nuland, Staatssekretärin im US-Außenministerium, erfahren. Im Telefonat mit Amerikas Botschafter in Kiew ließ sie ihrem Ärger über die Europäische Union freien Lauf. Ihr Kraftausdruck „Fuck the EU!“, der alsbald auf Youtube nachzuhören war, empörte sogar Angela Merkel: Solch ein Ton sei „völlig inakzeptabel“. Die USA waren blamiert. Es wird spekuliert, dass der russische Geheimdienst hinter der Abhöraktion steckt.
Geheimhaltung für die Politik ein wichtiges Gut
Allmählich werden die Lauschattacken zum echten Problem für die Politik. „Es muss weiterhin Orte geben, an denen Politiker Ideen austauschen können, ohne gleich Öffentlichkeit herstellen zu müssen“, fordert Politikforscher Korte. Die Demokratie brauche „solche Orte legitimer Geheimhaltung“.
Doch wie weit her ist es mit Geheimhaltung, wenn selbst Regierungschefs wie Erdogan in der Türkei zu Abhöropfern werden? Und er steht ja nicht allein mit dem Problem. Auch in Italien musste der frühere Ministerpräsident Silvio Berlusconi oft wenig schmeichelhafte Abschriften seiner Telefonate in der Zeitung lesen. Besonders peinlich: Einmal schimpfte der Premier, der sich stets von der Justiz verfolgt sah, Italien sei doch „ein scheiß Land“.