Washington. . Mit ihrem „Fuck the EU!“ hat Top-Diplomatin Victoria Nuland die politische Durchsetzungskraft der Europäischen Union im Konfliktherd Ukraine auf den Punkt gebracht. Was den Zorn der Europäer natürlich nicht schmälert. „Absolut inakzeptabel“, ließ die Bundeskanzlerin Merkel ihre Sprecherin zürnen.
Eigentlich hätte heute der „griechische Joghurt-Skandal“ sinnbildlich für das immer anstrengender werdende Zerwürfnis zwischen Washington und Moskau stehen sollen. Aus bürokratischer Nickeligkeit untersagt Russland dem aus der Türkei stammenden führenden US-Erzeuger Chobani gerade die Belieferung der amerikanischen Olympioniken in Sotschi mit Erdbeer-Banane- und Stracciatella-Bechern.
Die robuste Wortwahl der für Europa zuständigen Top-Diplomatin im Außenministerium, Victoria Nuland, während eines vertraulichen Gesprächs mit US-Botschafter Geoffrey Pyatt über die Zukunft der Ukraine hat die Milchspeisen-Posse aus den Schlagzeilen verdrängt.
Mit einem überzeugten „Fuck the EU“ hatte die schon zu Zeiten als Sprecherin Hillary Clintons wenig zimperliche Mutter zweier Kinder ihre Geringschätzung für die politische Durchsetzungskraft der Europäischen Union im Konfliktherd Kiew auf den Punkt gebracht.
Peinliche Politiker-Pannen
Was wahlweise mit einem umgangssprachlich wenig dramatischen, ja gesellschaftlich akzeptierten „Scheiß auf die EU“ oder „Vergiss die EU“ übersetzt werden kann - aber den Zorn der Europäer natürlich nicht schmälert. „Absolut inakzeptabel“, ließ die noch immer am Handy-Kater leidende Bundeskanzlerin ihre Sprecherin zürnen. Dabei hatte sich Nuland flugs in diversen europäischen Hauptstädten entschuldigt.
Steckt Russland hinter der Veröffentlichung des Gesprächs?
Zieht man die grummelnden aber im Prinzip aus „Kein Kommentar“ bestehenden Kommentare des Weißen Hauses zum Lapsus hinzu, soll es damit offenbar auch sein Bewenden haben. Allenfalls will Washington die Einschaltquoten auf jene umlenken, die der Öffentlichkeit die Anti-Europa-Tirade gegen alle Gepflogenheiten im Gewerbe zwischenstaatlicher Unterhändler erst zugänglich gemacht haben.
Ohne die Urheberschaft des auf dem Internetkanal Youtube gelandeten Gesprächs zweifelsfrei bewiesen zu haben, geht man in Washington davon aus, dass der Kreml hinter der drastischen und die NSA in den Schatten stellenden Aktion steckt. US-Außenamtssprecherin Jen Psaki monierte einen „Tiefstand russischer Spionagepraxis“. Kein Wunder: Russland dementierte auf der ganzen Linie.
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Toby Gati, früher Russland-Berater im Weißen Haus, geht davon aus, dass Moskau mit der Durchstecherei eine Doppelstrategie verfolgt. Zum einen soll als Dreingabe zur Geheimdienst-Affäre um die National Security Agency (NSA) ein zusätzlicher Keil zwischen Amerika und die EU getrieben werden.
Was gelingen könnte, wenn sich in Brüssel festsetzt, dass Washington die EU wie einen Klotz am Bein bei der Lösung internationaler Konflikte behandelt. Zum anderen soll die innenpolitische Gefechtslage in der Ukraine selbst weiter destabilisiert werden.
Nulands Fingerzeig, dass aus ihrer Sicht Volkstribun Vitali Klitschko wegen Unfähigkeit nicht in einer neuen Regierung politisch mitboxen sollte, dagegen der andere Oppositionsführer Arseni Jazenjuk sehr wohl, dürfte die außerparlamentarische Bewegung „stark beschäftigen“, heißt es bei der Denkfabrik Brookings.
Auch Nulands Gatte ist EU-Kritiker
Dort und in anderen Politikberatungsfirmen wird hinter vorgehaltener Hand Verständnis für Nulands EU-Schelte aufgebracht. Und zum Teil mit familiären Vorbelastungen erklärt. Nulands Gatte, der bekannte neokonservative Vordenker und Republikaner-Berater Robert Kagan, hatte die EU bereits vor zehn Jahren als zu zögerlich, hasenfüßig und unentschlossen attackiert.
„Amerikaner sind vom Mars und Europäer von der Venus“, sagte Kagan damals in Anspielung auf die Zurückhaltung Europas, mit den USA in den Irak-Krieg zu ziehen. Von Nuland, einst Botschafterin bei der Nato, selbst ist bekannt, dass ihr in Brüssel das Zuständigkeits-Gewirr zwischen Parlament, Kommission und dem Rat als Organ der Regierungschefs ein Graus sind. Hat sie vergessen, dass der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton bei der schwierigen Anbahnung der Iran-Atomverhandlungen zuletzt höchste Wertschätzung aus Washington entgegenschlug?
Ashtons Umfeld konnte sich eine offizielle Replik auf Nulands Kritik gestern elegant versagen. In einer zweiten Audio-Datei, ebenfalls durch einen Vertrauensbruch ans Tageslicht gekommen, war Ashtons Generalsekretärin zu hören. Die deutsche Elite-Diplomatin Helga Schmid führt darin Klage über Charakterisierungen der Amerikaner, wonach die EU zu „weich“ sei und sich vor Sanktionen gegen die Ukraine drücke. Schmidt: „Unfair und falsch. Das geht nicht.“