Moskau/Kiew. . Russland verstärkt auf der Krim-Halbinsel den militärischen Druck. Offizieller Grund sind Unruhen nach dem Umsturz der Regierung der Ukraine. Der Großteil der Krim-Bevölkerung wendet sich gegen die Revolution in Kiew. Eine pro-russische Gruppe hat das Regierungs- und Parlamentsgebäude gestürmt.
Angesichts der Spannungen auf der südukrainischen Halbinsel Krim hat Russland den Schutz seiner dort stationierten Schwarzmeerflotte verstärkt. „Wir treffen Maßnahmen, um die Sicherheit unserer Einrichtungen, unserer Infrastruktur und unseres Arsenals auf dem Schwarzen Meer zu garantieren“, sagte Verteidigungsminister Sergej Schoigu gestern. Was sich auf der Krim und um die Flotte herum ereigne, werde aufmerksam verfolgt, sagte Schoigu. Angeblich wurden Teile der russischen Streitkräfte wegen der angespannten Lage auf der Krimhalbinsel in Alarmbereitschaft versetzt.
Die Situation droht derweil rasch zu eskalieren: Unbekannte haben am Donnerstagmorgen die Gebäude von Parlament und Regionalregierung besetzt. Die etwa 30 Männer hätten mit Schnellfeuergewehren das Glas der Eingangstüren zerschossen und sich Zugang verschafft, sagte ein Behördenmitarbeiter.
Demnach bezeichnete die Gruppe sich angeblich als Selbstverteidiger der russischsprachigen Bevölkerung der Krim. Ein Sprecher der Krimtataren teilte mit, die Männer würden Uniformen ohne nähere Kennung tragen. Es gebe zunächst keine Forderungen.
Der Eingang des Parlaments sei mit einer Barrikade aus Holz und Abfalltonnen versperrt, hieß es. Am Sitz des Ministerrats wurden zahlreiche Sicherheitskräfte zusammengezogen.
Massenprügeleien in Simferopol
Die Krim gehörte in der Sowjetunion zu Russland, bevor sie 1954 zu ukrainischem Territorium wurde. Bis heute ist die Hafenstadt Sewastopol der Stützpunkt der russischen Schwarzmeerflotte geblieben. Schoigu ergriff das Wort, nachdem nahe des Regionalparlaments in der Krim-Stadt Simferopol etwa 1000 prorussische Demonstranten mit etwa 20.000 Anhängern der muslimischen Gemeinde der Tataren aneinander geraten waren. Die Tataren unterstützen die neue Führung in Kiew, die den prorussischen Präsidenten Viktor Janukowitsch am Freitag entmachtet hatte.
Die Krim ist eine autonome Republik der Ukraine mit überwiegend russisch sprechender Bevölkerung. Aus dieser wird ein Referendum über den Status der Halbinsel gefordert. Die Parlamentsspitze hatte vor der Sitzung gestern jede Debatte über eine mögliche Abspaltung der Krim von der Ukraine ausgeschlossen.
Ist Janukowitsch auf der Krim untergetaucht?
Trotzdem herrschte vor dem Parlament Hochspannung. Während die eine Seite „Russland, Russland“ skandierte, rief die andere „Ruhm der Ukraine“ und „Allah Akbar“. Nachdem man sich zunächst nur angerempelt hatte, eskalierte die Lage am Nachmittag, es kam zu Massenprügeleien, man drosch mit ukrainischen und russischen Flaggen aufeinander ein, Steine flogen, mehrere Demonstranten holten sich blutige Köpfe und Rippenbrüche, einer erlitt einen Messerstich.
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Ein Großteil der regionalen Elite opponiert gegen die Revolution in Kiew. Der flüchtige Präsident Janukowitsch soll auf der Halbinsel untergetaucht sein. Kurz vor seinem Sturz hatte ihn der Oberste Sowjet der Krim noch aufgerufen, den Ausnahmezustand zu verhängen. „Der Neonazismus kommt in der Krim nicht durch“, erklärte Sprecher Konstantinow am Dienstag unter Anspielung auf den Sieg der ukrainischen Patrioten in Kiew. Und Aleksei Tschaly, Verwaltungschef der Hafenstadt Sewastopol, ignorierte demonstrativ den Befehl des Innenministeriums, die „Berkut“-Elitepolizeieinheiten aufzulösen. Er lud alle Kämpfer der „Berkut“-Einheit, die in den vergangenen Monaten in Kiew über 100 Menschen getötet haben soll, nach Sewastopol ein. „Die Stadt braucht würdige Männer.“
Russen in der Mehrheit
Die vor allem als Urlaubsregion bekannte Krim hat knapp zwei Millionen Einwohner, zu etwa 58 Prozent ethnische Russen, zu 24 Prozent Ukrainer und zu 13 Prozent Krimtataren. „Seit Jahrzehnten leben Russen, Ukrainer und Tataren friedlich zusammen“, sagt Elsara Isljamowa, Direktorin des krimtatarischen Fersehkanals ATR. „Und alle reden russisch, auch unsere Moderatoren.“ Vor dem Obersten Sowjet in Simferopol aber harrten gestern Abend vor allem Russen aus. Sie forderten in Sprechchören weiter eine Volksabstimmung.