Kiew/Washington. Nach dem Umsturz in der Ukraine hat Russland die Gefechtsbereitschaft seiner Truppen in der Region überprüfen lassen. Auch auf der pro-russischen Krim wachsen die Spannungen. Die Ukraine hofft auf Milliardenkredite aus dem Westen - doch noch fließt kein Geld.

Wenige Tage nach dem Umsturz in der Ukraine lässt Kremlchef Wladimir Putin die Gefechtsbereitschaft der russischen Armee im Grenzgebiet überprüfen. Dazu seien auch Truppenteile in Alarmbereitschaft versetzt worden, sagte Verteidigungsminister Sergej Schoigu am Mittwoch. Die Anordnung steht laut Schoigu aber nicht im Zusammenhang mit dem Machtwechsel im Nachbarland.

Großbritannien warnte prompt vor "ausländischer Einmischung" in die schwierige Regierungsbildung in Kiew. Die Nato betonte, der Ukraine bei demokratischen Reformen helfen zu wollen, und warnte davor, die Unabhängigkeit der Ukraine zu missachten. Jedoch sei man von Russland über das Militärmanöver an der Grenze zur Ukraine in Kenntnis gesetzt worden. "Ja, die Russen haben uns über diese Militärübung informiert", sagte Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen am Mittwoch in Brüssel. Er persönlich habe die russische Nachricht "am Nachmittag" erhalten. Rasmussen sagte, er könne nicht sagen, wann die Nato genau informiert worden sei.

Die im Westen Russlands stationierten Truppen sollen bis zum 3. März testen, ob sie angemessen auf Krisensituationen und militärische Bedrohungen reagieren können, sagte Schoigu laut Interfax. Beteiligt seien etwa 150 000 Soldaten verschiedener Waffengattungen, 90 Flugzeuge, 120 Hubschrauber sowie bis zu 880 Panzer. Dazu kommen 1200 Einheiten Militärtechnik und 90 Schiffe. "Alle Panzer werden schießen, alle Flugzeuge werden im Kampfmodus fliegen", sagte Schoigu. Auch Luftlandetruppen würden einbezogen.

Minister betont: kein Zusammenhang mit Krise

Der Minister betonte zugleich, dies stehe nicht im Zusammenhang mit der Krise im Nachbarland Ukraine. Die Übungen fänden an der Grenze zu mehreren Ländern statt, darunter auch zur Ukraine. Dies stehe auch in Einklang mit internationalen Verträgen.

Angesichts von zunehmenden Protesten auf der ukrainischen Halbinsel Krim, wo mehrheitlich Russen leben, ordnete Russland überdies den Schutz seiner dort stationierten Schwarzmeerflotte an. Russland befürchtet Übergriffe ukrainischer Nationalisten. So kam es in der Krim-Hauptstadt Simferopol zu Auseinandersetzungen zwischen antirussischen Demonstranten und moskautreuen Einwohnern.

In Sewastopol, dem Stützpunkt der Schwarzmeerflotte, richteten moskautreue Kräfte Grenzposten ein. Dort übernahm nach einer Straßenabstimmung der Russe Alexander Tschalyi das Bürgermeisteramt.

Nato: Ukraine entscheidet frei über eigene Zukunft

Angesichts der russischen Truppenaktivitäten betonte die Nato das Recht der neuen Machthaber in Kiew, frei über die eigene Zukunft zu entscheiden. "Wir gehen davon aus, dass alle Staaten die Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Integrität der Ukraine respektieren. Und wir haben dies allen, die es betrifft, deutlich gemacht", sagte Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen bei einem Treffen der Nato-Verteidigungsminister in Brüssel.

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) mahnte, keine Konfrontation aufzubauen. "Es wird keine Lösung ohne Russland geben."

US-Außenmininister John Kerry betonte, der Umsturz in der Ukraine verschlechtere das Verhältnis zwischen den USA und Russland nicht. Die Entmachtung des pro-russischen Präsidenten Viktor Janukowitsch und die internationalen Reaktionen sollten nicht als ein "Westen gegen den Osten" verstanden werden, sagte Kerry bei einem Treffen mit dem britischen Außenminister William Hague in Washington.

Interimspräsident Turtschinow ernannte sich zum Oberbefehlshaber 

In Kiew ernannte sich Interimspräsident Alexander Turtschinow selbst per Dekret zum neuen Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Vier Tage nach dem Umsturz sollte die neue Übergangsregierung am Abend vorgestellt und am Donnerstag vom Parlament gewählt werden.

Der Interims-Innenminister ordnete an, die wegen brutaler Übergriffe auf Regierungsgegner umstrittene Sonderpolizei "Berkut" aufzulösen. Die vor rund 20 Jahren gegründete, 3000 Mann starke Truppe diente vor allem zur Verbrechensbekämpfung, trat aber auch bei den jüngsten Demonstrationen in Erscheinung.

Wo sich der abgesetzte Staatschef Janukowitsch aufhält, war weiter unklar. Nach ihm wird gefahndet, die Opposition wirft ihm Anstiftung zum Mord vor. Seit Dienstag vergangener Woche waren mindestens 82 Menschen bei dem Machtkampf in Kiew getötet und Hunderte verletzt worden.

Kandidaten: Klitschko, Jazenjuk, Poroschenko

Aussichtsreiche Kandidaten für den Posten des Regierungschefs sind nach Angaben der Partei Udar von Ex-Boxprofi Vitali Klitschko der frühere Parlamentschef Arseni Jazenjuk sowie der reiche Unternehmer und Ex-Außenminister Pjotr Poroschenko.

Die Ukraine steuert auf einen Staatsbankrott zu. Bis Jahresende fehlen im Haushalt nach Angaben der neuen Machthaber mindestens 25 Milliarden Euro. Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Europäische Union wollen Finanzhilfen aber erst gewähren, wenn die neue Regierung steht und ein Sanierungsprogramm beschließt.

Wahl eines Präsidenten am 25. Mai

IWF-Chefin Christine Lagarde sagte in der Universität Stanford in Kalifornien, der IWF habe einen Vertreter vor Ort, der die Finanzlage sehr genau bewerten werde.

Die Wahl eines regulären neuen Präsidenten ist für den 25. Mai angesetzt. Oppositionspolitiker Klitschko hat seine Kandidatur bereits angekündigt. Ob die aus der Haft entlassene Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko an der Wahl um das Präsidentenamt teilnimmt, war zunächst wieder offen. Timoschenko will sich im März wegen eines Bandscheibenvorfalls in Deutschland behandeln lassen. (dpa)