Kairo/Tripolis. . Libyen feiert am 17. Februar den dritten Jahrestag seiner Revolution gegen Muammar Gaddafi. Das Land ist in einem desolaten Zustand: Marodierende Milizen und islamistische Terroristen verstärken die Anarchie. Regierungsmitglieder fordern internationale Hilfe.

Acht Stunden dauerte der Albtraum, dann tauchte Libyens Ministerpräsident Ali Zeidan wieder auf. Um drei Uhr früh hatten ihn bewaffnete Kidnapper aus seinem Bett im 21. Stock des Luxushotels Corinthia in Tripolis geholt. Ein Foto im Morgengrauen zeigte ihn mit offenem Hemd und wütendem Gesicht, eng umringt von seinen Peinigern.

Nach seiner Freilassung gab sich der Regierungschef ungebrochen. Er werde der Gewalt nicht weichen. „Wenn es das Ziel dieser Entführung war, mich zum Rücktritt zu bewegen, dann kann ich nur sagen, ich werde nicht zurücktreten “, twitterte der 63-Jährige. Und dennoch warf seine spektakuläre Odyssee im letzten Oktober einmal mehr ein bezeichnendes Licht auf die anarchischen Zustände in dem ölreichen Mittelmeer-Anrainer, dessen Bevölkerung am 17. Februar den dritten Jahrestag ihres Aufstands gegen Diktator Muammar Gaddafi feiert.

Mordanschläge, Entführungen, Gewalt

Mordanschläge auf Offiziere, Politiker, Geistliche, Journalisten und Richter gehören inzwischen zum Alltag genauso wie die Entführung von ausländischen Diplomaten. Vor vier Wochen starb Vize-Industrieminister Hassan al-Droui bei einem Attentat in Gaddafis Geburtsstadt Sirte. Der stellvertretende libysche Premier Seddik Abdelkarim kam nur knapp mit dem Leben davon, als Bewaffnete seinen Konvoi auf dem Weg zum Flughafen von Tripolis unter Feuer nahmen.

Auch interessant

Kürzlich griffen Bewaffnete sogar das Verteidigungsministerium in Tripolis an. Nach Schätzungen der Regierung kursieren seit dem achtmonatigen Bürgerkrieg drei bis fünf Millionen Waffen im Land – bei einer Bevölkerung von rund sechs Millionen. Zahllose Rebellenbrigaden, die gegen Gaddafi kämpften, agieren inzwischen auf eigene Faust als Mafiabanden, die Flugplätze, Häfen und Erdölfelder kontrollieren.

Putsch-Gerüchte dementiert

„Ja zu Libyen, nein zu den Milizen“, skandierten die Menschen letzte Woche in Tripolis und Benghazi. Die Demonstranten hatten Besen und Kehrbleche mitgebracht, um das Parlament zu säubern, wie sie sagten. Sie fordern Neuwahlen, nachdem der im Juli 2012 gewählte „Allgemeine Nationalkongress“ (GNC) seine 18-monatige Sitzungsperiode im Handstreich bis Ende Dezember verlängerte. Am Freitag kursierten auf Facebook und Twitter stundenlang Gerüchte, es gebe einen Putschversuch von dreißig Offizieren unter dem Kommando eines Ex-Generals, was Premier Ali Zeidan prompt als „lächerlich und falsch“ dementierte.

Nächste Woche (20. Februar) finden nun endlich die Wahlen zur Verfassungsgebenden Versammlung statt. Das erste Grundgesetz seit vier Jahrzehnten soll die drei auseinanderstrebenden Regionen des Landes, Tripolitanien im Westen, Cyrenaika im Osten und Fezzan im Süden, neu verklammern sowie das islamische Profil des künftigen Staates definieren.

Gleichzeitig zieht das chronische Machtvakuum auch Libyens nordafrikanische Nachbarn in Mitleidenschaft. Beim spektakulären Überfall auf die Gasförderanlage „In Amenas” vor einem Jahr im algerisch-libyschen Grenzgebiet mit über 60 Toten waren auch libysche Extremisten dabei. Westliche Sicherheitsexperten gehen davon aus, dass Boden-Luft-Raketen aus dem Arsenal von Gaddafis Eliteeinheiten inzwischen in der ganzen Region kursieren, wie kürzlich der Abschuss eines ägyptischen Militärhubschraubers auf dem Sinai durch Al-Kaida-Terroristen belegte.

Im Süden sammeln sich die Terroristen

Auch in Mali stellten französische Truppen in Waffenlagern der Gotteskrieger fünf schultergestützte, russische SA-7 Manpads sicher. Und so forderte jetzt der Innenminister des südlichen Nachbarn Niger, Massoudou Hassoumi, Frankreich und die Vereinigten Staaten auf, in den Süden Libyens einzumarschieren, der zu einer Brutstätte für Terroristen geworden sei. „Die Mächte, die von außen beim Sturz von Oberst Gaddafi mitgeholfen haben, sollen nun auch die Haftung für die Zeit danach übernehmen“, erklärte Hassoumi. Die Antwort aus Paris kam prompt. „Nein, wir schicken keine Truppen“, wehrte Außenminister Laurent Fabius energisch ab, kündigte aber für März eine internationale Konferenz in Rom an, um mehr Hilfen für Libyen zu organisieren. „Wir sind uns der Probleme bewusst“, erklärte er. „Es ist wahr, dass sich im Süden Libyens Terroristen sammeln.“