Rom. . Jung, dynamisch, gnadenlos: Mit einem Frontalangriff auf die italienische Regierung hat der Vorsitzende der Demokratischen Partei (PD), Matteo Renzi (39), Ministerpräsident Enrico Letta zu Fall gebracht. Dass er selbst nun die Regierung übernimmt, gilt als ausgemacht. Wer ist der Mann?
Er hat schon immer alle überholt. “Schon als er Ministrant war”, erinnert sich jetzt Matteo Renzis Heimatpfarrer in Rignano bei Florenz, “hat man gesehen, dass in ihm eine Nummer 1 steckt.” Für diese Rolle übte Renzi – wie alle aus seiner Familie – zuerst bei den katholischen Pfadfindern. “Ein Bluthund war er schon mit 16 Jahren“, erzählt heute einer seiner Wölflinge von damals, „der hat dich getriezt, und wenn du etwas falsch gemacht hast, hat er nicht locker gelassen, bis alles in Ordnung war.“
Auch das überschäumende Temperament war offenbar schon immer spürbar: “Gequasselt hat er Tag und Nacht”, sagt der Ex-Pfadfinder. Und zu helfen wusste er sich auch immer: „Beim Zelten im Wald, als wir alle Angst hatten vor den Wildschweinen, hat er plötzlich seine Gitarre genommen und gesungen. Bis zum Morgen. Und kein Tier hat sich herangetraut.“
Eine Familie mit Sinn für Publizität
Matteo Renzi – geboren am 11. Januar 1975, drei Geschwister, drei Kinder – stammt aus einer nicht nur frommen, sondern auch einer politisch aktiven Familie mit Sinn für Publizität. Der Vater, im Gemeinderat für die Democrazia Cristiana (linker Flügel), betrieb eine Gesellschaft für Zeitungskioske und –werbung; von seiner Mutter, die ihm abends im Bett von den Kennedys erzählte, hat Matteo die Begeisterung für ein „junges“ Amerika, die er sich bis heute, bis zu seinen Anleihen bei Barack Obama, behalten hat.
1996 begeistert sich Renzi für die „Olivenbaum“-Bewegung von Romano Prodi, steigt mit 24 Jahren zum örtlichen Vorsitzenden auf und wird mit 29 Jahren – als Jüngster in Italien – Präsident einer Provinz, also eine Art Landrat, in Florenz. Im Juni 2009 hat er seinen Wunschjob gefunden: Zuerst in Basiswahlen an den Parteiapparaten des Mitte-Links-Lagers vorbei, dann bei den Kommunalwahlen mit 60 Prozent Zustimmung, wird er Bürgermeister von Florenz. Sehr umtriebig, sehr pragmatisch, sehr bürgernah, dem Anschein nach beständig präsent, durch und durch unkonventionell, macht sich Renzi zum beliebtesten Stadtoberhaupt Italiens.
Im Wohnmobil durch Italien, aber nicht wie Beppe Grillo
Das lässt ihn aber noch nicht ruhen. 2010 ruft Renzi zur radikalen Verjüngung der Politik im ganzen Land. Die alten Apparate und die trotz aller äußeren Wandlungen immergleichen Kader will er „verschrotten“. Er sammelt die jungen Intellektuellen bei den Sozialdemokraten und bedeutende Namen aus der Künstlerszene um sich, rollt mit „Big-Bang“-Veranstaltungen von Florenz aus die Partei auf und füllt – im Wohnmobil durch Italien reisend – Säle im ganzen Land. Aufbruchsstimmung verbreitet Renzi, aber anders als der Genueser Komiker Beppe Grillo das mit seinen Wohnmobil-Touren auch tut, will Renzi die Politik erneuern, nicht sie durch Antipolitik ersetzen.
Schon 2010 zeigt er zum Erschrecken und zur Polemik seiner Parteifreunde auch, dass ihm alle hergebrachten Verhältnisse und die Lagergrenzen herzlich egal sind: Er trifft sich – unerhört für einen zünftigen italienischen Linken – mit Silvio Berlusconi, und das auch noch in einer von dessen Villen. Angeblich ging’s beim Gespräch mit dem damaligen Premier nur “um einige Florentiner Stadtprobleme“, aber darauf wollte sich keiner so recht verlassen. Jedenfalls empfindet Berlusconi – bis heute – tiefe menschliche Sympathie für den Jungen: “Er erinnert mich so sehr an meine eigene Aufbruchsstimmung, früher.“
Selbst Berlusconi hat Respekt vor ihm
Berlusconi weiß aber auch, dass ihm Renzi mit seinem undogmatischen Ansatz viele Wähler aus dem Mitte-Rechts-Lager wegfischen könnte. Der Entscheidungsschlacht weicht er folglich lieber aus: „Falls Renzi bei den Parlamentswahlen zum Spitzenkandidat der Linken wird,“ sagt Berlusconi, „trete ich nicht mehr an.“
Das war Ende 2012. Doch es kam anders, schmählich für Renzi: die parteiinternen „primaries“ um die Spitzenkandidatur verlor er gegen den Apparatschik Pier Luigi Bersani. Der aber versemmelte den Sieg bei der Parlamentswahl vor genau einem Jahr. Heraus kamen die prekären Verhältnisse einer großen Koalition zwischen Enrico Letta und Silvio Berlusconi. Erst heute, im zweiten Anlauf, ist Renzi da, wo er hinwollte. Aber nicht gekrönt in allgemeinen Wahlen, sondern durch die Hintertür der Palastintrige – nach Mario Monti und Enrico Letta der dritte italienische Premierminister in wenig mehr als zwei Jahren, und der dritte in Folge, bei dem das Volk nichts mitzureden hatte.