Brüssel. . Der Ausgang der Abstimmung in der Schweiz über die Begrenzung der Zuwanderung hat die Europäische Union kalt erwischt. Auf dem Spiel steht nicht nur die seit 2007 geltende wechselseitige Niederlassungsfreiheit. Jetzt befürchtet Brüssel einen Schub für Rechtspopulisten auch in anderen Ländern.

Das Malheur war schon in den Umfragen immer wahrscheinlicher geworden. Dennoch erwischte der Ausgang der Volksabstimmung „gegen Masseneinwanderung“ die EU in Brüssel kalt.

Ob Kommission, Ministerrat oder Europa-Parlament – mehr als drei immer gleiche Kommentare fiel keinem ein: Das Ergebnis ist unschön! Binnenmarkt ohne Freizügigkeit geht gar nicht! Jetzt ist erstmal die Schweiz am Zug! So etwa die EU-Justizkommissarin Viviane Reding: „Der Binnenmarkt ist kein Schweizer Käse. Es gibt keinen Binnenmarkt mit Löchern drin!“ Die Aufgabe der Schadensbegrenzung stellt sich indes auf beiden Seiten, rechtlich wie politisch.

Der Mechanismus heißt „Guillotine“

Auf dem Spiel steht nicht nur die seit 2007 geltende wechselseitige Niederlassungsfreiheit. Das Freizügigkeitsabkommen gehört zu einem Paket aus sieben Verträgen, in dem etwa auch die Bereiche Forschung, Landwirtschaft, Luftverkehr und Landverkehr geregelt werden. Rechtskraft haben sie nur zusammen. Sonst tritt ein Mechanismus mit dem treffenden Namen „Guillotine“ in Aktion: Sechs Monate, nachdem die Schweiz die Freizügigkeit für EU-Bürger storniert, würden auch alle anderen Vereinbarungen hinfällig.

Die Regierung in Bern hat drei Jahre Zeit, die Vorgaben des Referendums in konkrete Vorschriften – zum Beispiel zur Höhe der geplanten Kontingente – umzugießen. Bis dahin gilt die alte Rechtslage. Das Land darf aber keine neuen Verträge schließen, die dem Volksentscheid zuwider laufen.

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Unklar ist, wie der so genannte Schweizervorzug – Einheimische haben bei der Einstellung Vorrang – in der Praxis funktionieren soll. Der Volksentscheid erteilt zwar nicht den Auftrag, die Freizügigkeit mit der EU formell aufzukündigen, wohl aber das Abkommen neu zu verhandeln. Das freilich ist genau Frau Redings „Schweizer Käse“, auf den sich die EU auf keinen Fall einlassen will. „Diese Freiheit ist uns heilig“, so die Sprecherin des Kommissionschefs Barroso.

In Deutschland will die CSU aus Stimmung Stimmen machen

Politisch ist der beunruhigendste Effekt der Schub für Rechtspopulisten und andere Einwanderungskritiker in der EU selbst. Im beginnenden Wahlkampf für die Europawahlen Ende Mai haben sich die Migrationsmuffel in vielen Ländern lautstark zu Wort gemeldet und bestimmen die politische Diskussion mit. Das sind nicht nur Radikal-Nationalisten vom extremen rechten Rand wie die Jobbik-Partei in Ungarn oder die Goldene Morgenröte in Griechenland. Längst hat der Unmut über den vermeintlich unerträglichen Zuzug die politische Mitte erreicht, auch in den größten Mitgliedsstaaten.

In Frankreich betreibt die UMP-Partei eine Verschärfung der Regeln. „Wir haben keine andere Wahl, als die Einwanderung zurückzufahren um bei der Integration erfolgreich zu sein“, so UMP-Chef Jean-Francois Copé. In Großbritannien versucht Premier Cameron mit Ideen wie der einer Einkommensuntergrenze für EU-Einwanderer die fremdenfeindlichen Rebellen in den eigenen Reihen ruhig zu stellen. In Deutschland will die CSU mit einschlägigen Parolen aus Stimmung Stimmen machen. Nicht ohne Aussicht – nach dem jüngsten Politbarometer sehen die Deutschen die Zuwanderung als politisches Problem Nummer eins.