Düsseldorf. . Mehr direkte Mitbestimmung für die Bürger: Das fordern viele seit Jahren, nicht nur in Nordrhein-Westfalen. Doch bisher gab es nur ein einziges Bürgerbegehren im Land: 1978 stimmten Millionen Menschen über die Einführung der Koop-Schule ab. Die Mehrheit war dagegen. Jetzt entwickelt ein Allparteiengremium Vorschläge für eine Modernisierung der Landesverfassung.

Wer direkte Demokratie will, kommt in NRW zu kurz. ­Während lokale Bürgerbegehren an Rhein und Ruhr einen kleinen Boom erleben und soeben in Essen mit dem Votum gegen den Messe-Ausbau viel Aufsehen erregt haben, muss der Wähler auf Landesebene draußen bleiben.

Zu hohe Hürden, kritisieren zahlreiche Experten, ­blockieren den Zugang zum Volksentscheid. Ein Fall für die Verfassungskommission des Landtags, die das „Grundgesetz“ des Landes nach 64 Jahren modernisieren will.

Anfang Februar soll das Arbeitsprogramm des Allparteien-Gremiums stehen. Elf Themen hat es bisher auf der Liste. Dass sich die ­direkte Demokratie in NRW in keiner guten Verfassung zeigt, ist Konsens. Erst ein einziges Mal führte ein Volksbegehren zum Erfolg, als 1978 die Einführung der „Koop-Schule“ verhindert wurde. Zweimal blieb es beim Versuch. Ungewiss ist, wie das gerade vorbereitete Begehren, das strikte Nichtraucherschutzgesetz wieder zu kippen, enden wird.

NRW nur im Mittelfeld

Bisher müssen mindestens acht ­Prozent oder 1,1 Millionen Wahl­berechtigte unterschreiben, damit ein Volksbegehren in NRW zu ­Stande kommt. Lehnt es der Landtag dann ab, folgt ein Volksentscheid, dem mit 15 Prozent sogar fast doppelt so viele Wähler zustimmen müssten. Das gab es seit 1949 noch nie. Die harten Regeln für ­Bürgerbeteiligung führen dazu, dass NRW in einer Rangliste der Initia­tive „Mehr Demokratie“ bundesweit nur Mittelmaß erreicht.

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Das Feilschen um niedrigere ­Hürden dürfte die Kommission ­lange beschäftigen. Die Grünen wollen das Quorum für Volksbe­gehren auf zwei Prozent senken. Am Ende könnte ein Kompromiss bei fünf Prozent liegen. Die Fraktionen lassen sich nicht in die Karten schauen. „Jeder hat sein Lieblingsprojekt“, sagt Rainer Bovermann (SPD), der als Vorsitzender kein Stimmrecht hat. Man wird sich ­zusammenraufen müssen. Denn am Ende muss in jedem einzelnen Fall eine Zwei-Drittel-Mehrheit stehen.

20 Änderungen der Landesverfassung in 64 Jahren

In sechs Jahrzehnten hat sich die Landesverfassung insgesamt bewährt. „Sie ist sehr stabil“, sagt der frühere NRW-Justizminister Jochen Dieckmann, der die SPD als Sachverständiger berät. Nur 20 Mal mussten die Paragrafen geändert werden – zuletzt 2011, als der rot-schwarz-grüne Schulfrieden und die Sekundarschule verankert ­wurden.

Trotz aller Differenzen mahnt deshalb CDU-Fraktions­geschäftsführer Lutz Lienenkämper, die Reformarbeit „behutsam“ anzugehen. Die Verfassung verträgt keine Brechstange.

Die CDU hat die Schulden­bremse als wichtigstes Vorhaben auf ihrer Agenda. Längst moniert der Rechnungshof, dass sie noch nicht in der NRW-Verfassung steht. Doch während CDU und FDP ein Neuverschuldungsverbot bis 2020 nach Vorbild des Bundes bevorzugen, wollen SPD und Grüne zusätzlich festschreiben, dass die Schuldenbremse des Landes nicht auf Kosten der Kommunen geht. Auch bei ­anderen Themen zeichnen sich Kontroversen ab.

Auch Mindestwahlalter soll sinken

Beispiel Wahlen: Jugendliche in NRW sollen – wie in Brandenburg, Bremen und Hamburg – nach dem Willen von SPD, Grünen und Piraten schon mit 16 Jahren den Landtag wählen dürfen. CDU und FDP sind dagegen. Beraten wird auch, ob EU-Ausländer das Wahlrecht auf Landesebene erhalten. Bis jetzt dürfen sie nur kommunal abstimmen.

Beispiel Landtag: NRW ist das einzige von 16 Ländern, in dem der Ministerpräsident dem Parlament angehören muss. Der Landtag wählt den Regierungschef – so der Verfassungstext – „aus seiner ­Mitte“. Der Vorschlag der Grünen, das Amt für Externe zu öffnen und attraktiv zu machen, hat kaum Aussicht auf Erfolg.

Bis Ende 2015 soll das Gesamtpaket ins Parlament gehen

Auch den Vorstoß, die Eidesformel für Minister („dem Wohle des deutschen Volkes“) durch „dem Wohle aller Menschen“ zu ersetzen, nennen selbst Migranten wie die CDU-Abgeordnete ­Serap Güler „reine Symbolpolitik“.

Spätestens Ende 2015, so Bovermann, will man fertig sein. Dann muss das Änderungspaket dem Landtag vorgelegt werden. Ob ­danach auch die Bürger in einem Referendum über die neue Landesverfassung abstimmen, wird noch entschieden. Aber auch dazu ­müsste erst einmal die Verfassung angepasst werden.