Iserlohn/Berlin. . Sollen Sportpolitiker Olympia und die Fußball-WM in Russland boykottieren? Dagmar Freitag aus Iserlohn, wiedergewählte Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag, sagt: nein. Vielmehr sollten sie vor Ort mit Oppositionellen sprechen, fordert sie. Ein Interview.

„Der Sport muss mehr Flagge zeigen“, fordert die SPD-Politikerin Dagmar Freitag. Am Mittwoch wurde die Iserlohnerin erneut zur Vorsitzenden des Sportausschusses im Bundestag gewählt. Wir haben mit ihr über Ziele und Aufgaben gesprochen.

Fünf Monate nach seiner letzten Sitzung nimmt der Sportausschuss jetzt wieder seine Arbeit auf. Was sind die größten Baustellen?

Zunächst werde ich bei den Fraktionen intensiv dafür werben, dass die Sitzungen des Sportausschusses ab sofort wieder öffentlich stattfinden. Allerdings würde ich es begrüßen, wenn wir diese Diskussion nicht immer ausschließlich auf den Sportausschuss fokussieren würden. In Zeiten, in denen von den Bürgerinnen und Bürgern zu Recht mehr Transparenz in politischen Diskussions- und Entscheidungsprozessen eingefordert wird, sollten wir überlegen, inwieweit man auch weitere Ausschüsse grundsätzlich öffentlich tagen lässt.

Inhaltlich ist eine zügige Aufnahme der parlamentarischen Beratungen über wirksame gesetzliche Maßnahmen zur Bekämpfung von Doping aus meiner Sicht eine der vordringlichsten Aufgaben. Die Argumente für und wider weitergehende gesetzliche Regelungen sind hinreichend ausgetauscht; nun ist es Aufgabe der Politik, hierzu Entscheidungen zu treffen. Ob man sich in einem ersten Schritt auf den Bereich ‘Doping’ beschränkt oder die Frage des ‘Sportbetrugs’ in diesem Kontext gleich mit aufgreift, wird ebenfalls zur Entscheidung anstehen.

Wir werden uns auch Gedanken machen müssen, wie wir mittel- und langfristig die Spitzensportförderung sichern und verbessern, aber auch transparenter und effektiver gestalten können. Einen vergleichbaren Stellenwert in den jetzt anstehen Diskussionen muss die gesicherte und ausreichende Finanzierung der Nationalen Anti Doping Agentur (NADA) haben. Auch die andauernde gesellschaftspolitische Diskussion um Vergabekriterien und bereits erfolgte Vergaben von internationalen Sportgroßereignissen muss sich in den Ausschussberatungen wiederfinden.

Rolle auch bei gesellschaftlichen Themen herausstellen

Kritiker werfen dem Ausschuss vor, er sei unbedeutend. So unbedeutend, dass die Regierung jahrelang der Opposition beziehungsweise dem kleinen Koalitionspartner den Vorsitz überlassen hat. Was erwidern Sie?

Dass diese Einschätzung völlig an der Realität vorbeigeht. Das Gegenteil ist zutreffend: Es hat auch für diese Wahlperiode Bewerbungen aus der Unionsfraktion und eben der SPD um den Ausschussvorsitz gegeben. Die Union hat der SPD den Vorsitz keinesfalls großzügig überlassen, sondern meine Fraktion hat sich in der entscheidenden Runde der Parlamentarischen Geschäftsführer erneut durchgesetzt.

Sportpolitik muss Flagge zeigen 

Sie haben gefordert, der Sport, die Sportpolitik müsse mehr Flagge zeigen. Wie?

Der Sportausschuss kann seine Rolle als konstruktiv-kritischer Begleiter des Sports auch in den oben genannten gesellschaftspolitischen Themen erkennbarer herausstellen, auch Erwartungen an die Verbände formulieren. Das ist nun wirklich kein Angriff auf die Autonomie des Sports. Der Sport ist wesentlicher Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens – national wie international – und natürlich als Teil der Gesellschaft auch politisch. Sich auf die Position zurückzuziehen, wie Vertreter des organisierten Sports es gerne machen, der Sport sei per se unpolitisch, wird aus meiner Sicht nicht nur der Bedeutung, sondern auch den großen Möglichkeiten des Sports nicht gerecht.

Ist das nicht auch eine Kritik an Ihrer eigenen Tätigkeit? Sie arbeiten an exponierter Stelle. Müssen auch Sie mehr Flagge zeigen?

Man sagt mir nach, dass ich zu jenen Mitgliedern des Ausschusses zähle, die zu gegebener Zeit mit durchaus pointierten Aussagen oder Forderungen aufwartet. Für manchen Geschmack auch schon mal zu pointiert. Für parteipolitisch geprägte Stellungnahmen sind im Übrigen die sportpolitischen Sprecherinnen und Sprecher der Fraktionen die richtigen Ansprechpartner.

Sotschi-Absage Gaucks lässt Interpretationsspielraum

Fahren Sie nach Sotschi?

Zum aktuellen Zeitpunkt steht eine Reise zu den Olympischen Spielen nicht zur Debatte. Das heißt aber nicht, dass Abgeordnete von Reisen zu internationalen Sportgroßereignissen grundsätzlich Abstand nehmen müssen. Für mich wäre immer entscheidend, welche Möglichkeiten der Kontaktaufnahme zu Oppositionellen und natürlich auch politischen Entscheidungsträgern der Ausrichterstaaten gewährleistet wären. Besteht keine Möglichkeit dazu, sollte man auf eine Reise verzichten – ausschließlich als Claqueur auf der Tribüne zu sitzen, ist für mich als Abgeordnete keine Alternative.

Der Bundespräsident fährt nicht, gibt er ein gutes Beispiel ab?

Eine offizielle Begründung für seine Absage gibt es nicht, somit bleibt ein gewisser Interpretationsspielraum. Jedenfalls steht er mit seiner Entscheidung auf internationaler Ebene nicht allein, und sicher wird dieses in Russland natürlich entsprechend registriert.

Die Fußball-WM 2018 findet ebenfalls in Russland statt. Boykottieren?

Ich halte grundsätzlich wenig von Boykotten; das bleibt denen überlassen, die die Konfrontation suchen. Solche sportlichen Großereignisse bieten für Mandatsträger aus der Politik immer auch die Möglichkeit, Gespräche mit Regierungsvertretern und auch deren Kritikern zu führen. Man muss es entsprechend nachdrücklich einfordern.

Umgang mit Homosexuellen muss im Sport normal werden 

Katar ist ein undemokratisches Land, Frauen haben dort weniger Rechte, Homosexuelle kommen ins Gefängnis. Sollte die Fifa ihre Entscheidung, die WM 2022 dorthin zu vergeben, revidieren?

Ich bin realistisch genug um einzuschätzen, dass dieses Rad nicht zurück gedreht werden wird. Aber die FIFA muss gegenüber den Machthabern in Katar endlich deutlicher machen, dass die aktuellen Rahmenbedingen für eine internationale Sportgroßveranstaltung nicht akzeptabel sind. Die Besucher werden aus aller Welt in Katar zusammenkommen. Katar darf keinesfalls einzelne Nationalitäten, Religionen, Geschlechter oder auch sexuellen Orientierungen diskriminieren. Auch das können Parlamentarier - nicht nur aus Deutschland übrigens – bei Gesprächen in Ländern wir Katar ansprechen und einfordern.

Das Outing von Thomas Hitzelsperger hat ein großes Medienecho ausgelöst. Was muss nun passieren, damit die Wirkung nachhaltig bleibt?

Der Umgang mit Homosexualität muss auch im Sport genauso normal werden, wie er es in der Politik, in den Medien oder in anderen Bereichen ist. Wahrscheinlich sind die Vereine allein überfordert, die zweifellos noch vorhandenen Akzeptanzprobleme zu lösen, und da es hilft sicher, dass die Gesellschaft insgesamt in der Frage schon wesentlich weiter ist als mancher Besucher der Fankurven.

Das IOC hat seit einigen Monaten einen deutschen Präsidenten? Welche Reformen muss er dringend anstoßen?

Herr Dr. Bach hat die entscheidende Aufgabe, weiteren Schaden von der Olympischen Bewegung abzuwenden und ihr auch in demokratischen Gesellschaften wieder zu mehr Anerkennung zu verhelfen. Dazu wird er im IOC Reformen durchführen müssen. Die Entscheidung gegen die Bewerbung Münchens war aus meiner Sicht ein deutliches Signal der Kritik auch an der Vergabepolitik des IOC und dem Gigantismus heutiger Olympischer Spiele. Im Raum stehen 40-45 Milliarden Dollar für die bevorstehenden Spiele in Sotschi. Wenn hier kein Umdenken im IOC erfolgt, kann man sich leicht ausrechnen, welche Länder zukünftig noch Bewerbungen einreichen werden. Das ist eine Entwicklung, die nicht nur ich mit großer Sorge sehe.

Keine Interessenskonflikte

Sie sind im Präsidium des Deutschen Leichtathletik-Verbandes und Mitglied (im Aufsichtsrat) der Nationalen Anti Doping Agentur? Im Sportausschuss entscheiden Sie unter anderem über die Sportförderung. Sehen Sie Interessenskonflikte?

Nein. Ich fordere jeden Kritiker auf, die Arbeit der einzelnen Abgeordneten zu beobachten und sich ein Urteil zu bilden. Ich bin in den letzten vier Jahren sicherlich nicht als Lobbyistin des organisierten Sports aufgetreten, sondern als kritische Begleiterin – übrigens oftmals kritischer als Kolleginnen und Kollegen, die kein Ehrenamt in einem Verband ausüben. Ich bin überzeugt, dass es zum umfassenden Verständnis von Strukturen keineswegs schädlich ist, ein entsprechendes Ehrenamt innezuhaben. Es kommt eben immer darauf an, wie man die Trennung der persönlich handhabt.

In der NADA sitze ich Kraft meines Sportausschussvorsitzes, was bislang zu keinerlei Konflikten geführt hat.