Jerusalem. Letztes Geleit für Ariel Scharon: Israel nimmt bei einer Trauerfeier vor dem Parlament in Jerusalem Abschied von einem seiner umstrittensten Politiker. Die letzte Ruhe findet er auf seiner Farm. Scharon war am Samstag nach mehrjährigem Koma im Alter von 85 Jahren gestorben.

Israel trauert um Ariel Scharon. Im Beisein von Gästen aus aller Welt nahm die Staatsführung am Montag bei einer emotionalen Gedenkfeier vor dem Parlament in Jerusalem Abschied von dem früheren Ministerpräsidenten. Alle Redner würdigten den umstrittenen Politiker und Militär, der nach acht Jahren Koma im Alter von 85 Jahren gestorben war, als historische Persönlichkeit und großen Kämpfer. US-Vizepräsident Joe Biden sagte, Israels Sicherheit sei Scharons Lebenswerk gewesen. Für Deutschland nahm Außenminister Frank-Walter Steinmeier, für Russland Parlamentspräsident Sergej Naryschkin an der Trauerfeier teil.

Scharons Sarg, der in eine blau-weiße Flagge gehüllt war, wurde vor dem Eingang des Parlaments aufgebahrt. Der von Scharon 2005 durchgeboxte Abzug aus dem Gazastreifen sei eine "schwere und umstrittene Entscheidung" gewesen, sagte Biden, der auch Scharons Söhnen Omri und Gilad sein Beileid aussprach. Scharon habe immer hartnäckig für Israels Sicherheit gekämpft und deshalb sei klar, "warum er den Spitznamen "Bulldozer" bekommen hat". Biden wollte am Rande seines Besuchs auch den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und den Staatspräsidenten Schimon Peres treffen.

Netanjahu würdigt Scharon als "einen der Gründerväter Israels"

Netanjahu beschrieb Scharon bei der Trauerfeier als einen der Gründerväter Israels. Scharon sei "einer der größten Kämpfer des Volkes Israel und der israelischen Armee" gewesen.

Auch interessant

Peres würdigte Israels 11. Ministerpräsidenten als "Freund, Anführer und Kämpfer". "Heute nehmen wir Abschied von dir", sagte Peres, der Scharon bereits als jungen Geschichtsstudenten kennengelernt hatte. "Du warst die Schulter, auf der die Sicherheit unseres Volkes ruhte." Scharons Leben sei "mit der Geschichte des Staates (Israel) verwoben".

Der Nahost-Gesandte Tony Blair sagte, Scharon habe eine umfassende Friedenslösung in der Region angestrebt. "Er hat nicht als Träumer nach Frieden gestrebt, aber er hat von Frieden geträumt."

Beisetzung mit militärischen Ehren

Am Rande der Zeremonie traf Steinmeier auch Netanjahu und seinen israelischen Amtskollegen Avigdor Lieberman. Wegen Scharons Tod musste das Programm für Steinmeiers erste Nahost-Reise nach der Rückkehr ins Auswärtige Amt geändert werden. Er rief Israelis und Palästinenser, die seit Juli wieder Friedensgespräche führen, erneut zu Kompromissbereitschaft auf.

Nach der Trauerfeier in der Knesset, zu der Delegationen aus rund 20 Ländern angereist waren, sollte Scharon am Nachmittag mit militärischen Ehren auf seiner Farm in der Negev-Wüste im Süden des Landes neben seiner Ehefrau Lily beigesetzt werden.

Scharons Schikmim-Farm liegt unweit des palästinensischen Gazastreifens. Das Begräbnis findet unter strengen Sicherheitsvorkehrungen statt. Israels Armee war auf die Möglichkeit vorbereitet, dass militante Palästinenser versuchen könnten, während der Zeremonie Raketen auf Israel abzufeuern. Nach Medienberichten wurde in der Nähe der Farm eine weitere Batterie des Raketenabwehrsystems Eisenkuppel aufgestellt.

Palästinenser im Gazastreifen hatten Scharons Tod gefeiert. Während des Libanon-Krieges hatten mit Israel verbündete libanesische Milizen 1982 Hunderte Palästinenser in den Flüchtlingslagern Sabra und Schatila ermordet. Dem damaligen Verteidigungsminister Scharon wurde später eine Mitschuld vorgeworfen.

Ariel Scharon - als Hardliner geschmäht, als Friedensbringer gefeiert 

Kaum ein Politiker in Israels Geschichte war so einflussreich und so umstritten wie Ariel Scharon. Seit 2006 lag er im Koma. Im Krankenhaus rangen seine Söhne verbissen um sein Leben, während der ehemalige Premier draußen in Vergessenheit geriet. Denn der Mann, der zuerst als Hardliner geschmäht, dann als potentieller Friedensbringer gefeiert wurde, demontierte mit eigenen Händen sein politisches Erbe kurz bevor er ins Koma fiel. Nachhaltig war ausgerechnet sein Beitrag zum Umweltschutz.

Ausgerechnet die letzten Jahre seines Lebens passten so gar nicht zu Ariel Scharon. Niemand sprach mehr über den glorreichen General, der einer der wichtigsten Figuren in Israels ereignisreicher Geschichte gewesen war. Er war es eher gewöhnt, im Mittelpunkt von Debatten zu stehen –als Held und Bösewicht. Doch seit Scharon vor acht Jahren in ein Koma fiel, beschäftigte sich kaum jemand mit seinem politischen Erbe, obschon er die heutige politische Landkarte vielleicht mehr prägte als irgendein anderer. Vielleicht auch weil immer noch nicht klar ist, für was Scharon eigentlich stand. Er war ambitioniert, skrupellos, erfolgreich, sprach von Idealen und blieb doch stets pragmatisch. Er wusste, seine Gegner zu gespalten und seine Anhänger zu einen, und alle im letzten Augenblick zu überraschen.

Als junger Mann wollte er Bauer werden

Als junger Mann hatte er bescheidene Träume: Scharon wollte Bauer werden. Doch im Unabhängigkeitskrieg 1948 brauchte das junge Israel Soldaten. Scharon, seinen Freunden nur als „Arik“ bekannt, tat sich durch Mut und Einfallsreichtum hervor. Eine schwere Verletzung überlebte er, indem er blutend durch ein brennendes Feld robbte. Fünf Jahre später verwandelte er die Fallschirmjägertruppe 101 in Israels erste Kommandoeinheit, und begründete so den Ruf der Armee als einfallsreiches und unerbittliches Militär. Eine Vergeltungsaktion im palästinensischen Dorf Kibia im Westjordanland kostete 1953 mehr als 60 Zivilisten das Leben: Auch später wollte er schnell klare Ergebnisse, ohne Fragen zu stellen, ungeachtet des Preises für Feind oder Freund.

Im Sechs-Tage Krieg peitschte er seine Truppen zum schnellen Sieg über Ägyptens zahlenmäßig überlegene Armee im Sinai. Doch die Siegesfreude verflog bald: Wenige Monate nach dem Krieg schoss sich sein Erstgeborener Sohn mit einem antiken Gewehr, dass Scharon geladen aufbewahrt hatte, in den Bauch. Der Elfjährige Gur soll auf dem Wohnzimmerteppich in den Armen seines Vaters verblutet sein.

Ariel Scharon ist tot

Nach mehr als acht Jahren im Koma, ...
Nach mehr als acht Jahren im Koma, ... © imago
... ist Ariel Scharon am Samstag in einem Krankenhaus in Jerusalem gestorben.  Der frühere Ministerpräsident Israels...
... ist Ariel Scharon am Samstag in einem Krankenhaus in Jerusalem gestorben. Der frühere Ministerpräsident Israels... © dpa
... wurde 85 Jahre alt. Scharon ...
... wurde 85 Jahre alt. Scharon ... © dpa
... war nach einem Schlaganfall im Januar 2006 ins Koma gefallen. Er hatte nie wieder volles Bewusstsein erlangt. Der Politiker und ...
... war nach einem Schlaganfall im Januar 2006 ins Koma gefallen. Er hatte nie wieder volles Bewusstsein erlangt. Der Politiker und ... © imago
... und frühere General (hier mit Mahmud Abbas) galt als einflussreich, ...
... und frühere General (hier mit Mahmud Abbas) galt als einflussreich, ... © dpa
... war aber auch umstritten. Scharon ...
... war aber auch umstritten. Scharon ... © dpa
... war ab dem Jahr 2001 fünf Jahre lang Chef der israelischen Regierung.
... war ab dem Jahr 2001 fünf Jahre lang Chef der israelischen Regierung. © dpa
1/7
Scharons größte Stunde im Jom-Kippur-Krieg 

Scharons größte Stunde kam nach dem Überraschungsangriff Ägyptens und Syriens auf Israel im Jom-Kippur-Krieg 1973: Israel fürchtete den Untergang. Scharon ignorierte den Rückzugsbefehl und griff die Ägypter an ihrer Schwachstelle an. Er überquerte den Suez-Kanal und kesselte die feindlichen Armeen ein. Statt vor ihrem Ende standen die Israelis plötzlich kurz vor Kairo, Ägypten flehte um einen Waffenstillstand. Scharon wurde lebende Legende.

Er wechselte in die Politik. Scharon gehörte 1973 zu den Gründern der Likud Partei – ein Bündnis mehrerer rechter Parteien, die vier Jahre später die Arbeiterpartei der Staatsgründer nach 40 Jahren an der Macht in den Wahlen besiegen würde. Später wurde er Verteidigungsminister und agierte wie so oft eigenmächtig: Dem Kabinett versprach er 1982, nur einen kurzen Angriff auf palästinensische Terroristen im Libanon zu führen.

Das Massaker von Schatila und Sabra

Aus der Operation wurde der Libanonkrieg, denn Scharon hatte Großes im Sinn: Er marschierte bis Beirut, setzte eine pro-israelische, christliche Regierung ein, mit der er Frieden schließen wollte. Doch sein Plan schlug fehl: Die Syrer ließen den Führer der Christen ermorden. Die Rache christlicher Milizen an Palästinensern wurde zum Massaker von Sabra und Schatila, bei dem mehr als 700 Menschen ermordet wurden.

Israel war entsetzt, denn Scharons Armee hatte nichts getan, um den Massenmord zu verhindern. In der größten Protestkundgebung in Israels Geschichte demonstrierten 400.000 Menschen, 10% der Bevölkerung, gegen Sharon und den Krieg. Israel zog von Beirut ab, Scharon wurde in Schande seines Amtes entlassen. Der Krieg bescherte Israel keinen Frieden – im Gegenteil. Er zog sich bis ins Jahr 2000 hin, kostete Tausenden das Leben und führte zur Gründung der Hisbollah-Miliz – heute Israels hartnäckigsterFeind.

Scharon der "Bulldozer" 

Der gewiefte Politiker fand aber den Weg zurück. Als Bauminister errichtete er mehr als 140.000 Wohneinheiten für rund eine Million Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion. Er walzte die Bürokratie seines Ministeriums nieder, was ihm den Spitznamen „der Bulldozer“ eintrug. Als Anhänger einer Groß-Israel Ideologie und Patron der Siedlerbewegung baute er auch in den besetzten Gebieten: „Erobert jede Hügelspitze. Wo wir jetzt bauen, wird eines Tages uns gehören“, trieb er seine Anhänger an.

So kontrovers war er auch im September 2000, als er als Oppositionsführer demonstrativ den Tempelberg in Jerusalem besuchte – als Protest darüber, dass Israelis und Palästinenser über eine Teilung der Stadt verhandelten. Für die Palästinenser Anlass, die zweite Intifada loszutreten. Terror und Vergeltung brachten die Verhandlungen zum Stillstand. Statt Frieden sehnten die Israelis sich jetzt nach einem starken Mann, der den Terror eindämmen sollte: Kriegsheld „Arik“ gewanndie Wahlen.

Auf dem Höhepunkt der Macht

Im Amt vollzog Scharon dann seinen tiefsten Wandel: Der Fürsprecher der Siedler teilte das Land mit dem Bau einer Sicherheitsbarriere im Westjordanland, dem teuersten Infrastrukturprojekt der Staatsgeschichte. Doch er ging noch weiter: Im Jahr 2005 räumte er einseitig alle 22 Siedlungen im Gazastreifen und vier im Westjordanland. Den Sinneswandel hat Scharon nie erklärt. In seiner typisch zynischen Manier sagte er nur: „Was man vom Sessel des Premiers sieht, sieht man nicht, wenn man in der Opposition sitzt.“

Damit stellte er Israels Politik auf den Kopf. Das Friedenslager war nach der Terrorkampagne diskreditiert. Die Siedlerbewegung hatte Scharon vor der Räumung Gazas zerschlagen. Er war jetzt auf dem Höhepunkt seiner Macht, hatte alle besiegt: Die Palästinenser, die Siedler, seine Anhänger und seine Kritiker, alle politischen Rivalen. Selbst Ägyptens Präsident Husni Mubarak, der Scharon lang verteufelt hatte, sagte im November 2005: „Sharon ist der einzige israelische Politiker der mit den Palästinensern Frieden machen kann.“ Scharon konnte in den Wahlen Anfang 2006 mit einem gewaltigen Sieg rechnen.

Scharon, der Umweltschützer

Doch am 4. Januar 2006 wurde das ewige Schlitzohr selber überrumpelt. Ein Blutgefäß zerbarst in seinem Gehirn. Er das Bewusstsein. Fortan lag er im Koma. Erstmals seit 60 Jahren wurde er ruhig um Scharon. Politisch hinterließ er Chaos. Seine ehemaligen Anhänger auf der Rechten verteufeln den Vernichter von 22 Siedlungen. In einer Umfrage waren 80% der Ultra-Orthodoxen überzeugt, dass Scharons Schlaganfall eine Strafe Gottes sei. Der Likud wurde zu einem Sammelbecken nationalistischer Außenseiter, die Linke hat ihre Begeisterung für Scharons Idee einseitiger Rückzüge verloren: Im geräumten Gazastreifen floriert nicht die Wirtschaft sondern der Terror der radikal-islamischen Hamas.

Dennoch hinterließ er ein bleibendes Vermächtnis: Dank des Einsatzes seines umweltbewussten Sohns Omri wurde er zum grünsten Premiers Israels. Er kämpfte gegen Immobilienhaie, bewahrte Strände für Meeresschildkröten und schützte seltene Blumen. Unweit des Krankenhausflügels in dem er einem Infekt erlag erhebt sich ein gewaltiger Hügel. Was unlängst noch Israels größte Müllhalde war, ist die größte Recyclinganlage im Land geworden – der Ariel Scharon Park. (mit Material von dpa)