Riga. Lettland wird zum 1. Januar das 18. Mitglied der Eurozone. Auch wenn das Land auf seinem EU-Kurs mittlerweile große Wachstumsraten erreicht, stehen viele der gut zwei Millionen Letten der neuen Währung skeptisch gegenüber. Denn ihre Lebenswelt ist eine ganz andere als der internationale Handel.

Ein Feuerwerk wird den Himmel über der Hauptstadt Riga erleuchten, wenn Lettland zum 1. Januar 18. Mitglied der Eurozone wird. Unten am Boden wird die Freude gedämpfter ausfallen. Die Mehrheit der gut zwei Millionen Letten sieht ihrer neuen Währung mit großer Skepsis entgegen.

Mit der Ankunft Lettlands in der Eurozone hat der nach seinem Rücktritt im November nur noch geschäftsführende Ministerpräsident Valdis Dombrovskis eines seiner größten politischen Ziele erreicht. In der Bevölkerung ist einer Umfrage zufolge jedoch nur jeder Fünfte für den Beitritt zur Währungsunion. Die Versprechen, eine Mitgliedschaft erleichtere den Handel in der Eurozone und steigere das Vertrauen großer Investoren, beeindrucken viele Landsleute kaum.

Fern vom internationalen Handel

Die Lebenswirklichkeit vieler Einwohner hat mit dem internationalen Handel ohnehin kaum etwas zu tun: In Kirvi beispielsweise, einem Ort nordöstlich von Riga, führt Leonarda Timofejeva noch ein Leben wie aus einer anderen Zeit. Ihr Wasser schöpft sie aus einem Brunnen im Garten. Wenn ein Güterzug, gefüllt mit russischem Öl, vorbeirauscht, wackelt ihr ganzes Haus. Jeden Morgen marschiert die 56-Jährige drei Kilometer über einen schlammigen Weg zu ihrer Arbeitsstelle - einem Friedhof, auf dem sie die Gräber pflegt. 200 Lats verdient sie damit im Monat, umgerechnet 285 Euro.

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"Jeder geht davon aus, dass die Preise im Januar steigen werden", erzählt Timofejeva. Sie sehe schon jetzt den Preis für einen Liter Milch, den sie jetzt noch in Lats zahle, später in Euro auf der Packung prangen, meint sie. Ein Euro wird 0,7 Lats wert sein. Die Beteuerungen der Regierung, derartige Befürchtungen seien unbegründet, beeindrucken sie wenig. Dabei hatte gerade erst Finanzminister Andris Vilks im lettischen Fernsehen auf das nördliche Nachbarland Estland verwiesen, das 2011 den Euro eingeführt hatte und Preissteigerungen "von nur 0,2 bis 0,3 Prozent" erlebt habe.

"Alles, was uns näher in Richtung Westen rückt, ist gut"

Anita Dabola kann der neuen Währung mehr abgewinnen als ihre Nachbarin Timofejeva. "Alles, was uns näher in Richtung Westen rückt, ist gut", sagt die 62-Jährige in Anspielung an das die Region lange dominierende Russland. "Die sowjetische Vergangenheit spielt eine Schlüsselrolle für den ungezügelten Euro-Enthusiasmus der baltischen Regierungen", erklärt Witold Orlowski, Analyst bei Price Waterhouse Coopers (PwC). "Die baltischen Staaten sind absolut bereit dazu, alles zu tun, um sich so weit weg wie möglich vom Nachfolger der einstigen Sowjetunion und so nah wie möglich am Zentrum der EU zu positionieren", erklärt Orlowski.

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Um sich für die Aufnahme in die Eurozone besser zu positionieren, hat Lettland in den vergangenen Jahren vieles auf sich genommen. Die 2008 entflammte Finanzkrise hatte das Land fest im Griff, das Bruttoinlandsprodukt stürzte binnen zwei Jahren um 25 Prozent ab, so stark wie in keinem anderen EU-Staat. Lettland erhielt eine internationale Finanzspritze, die Regierung um Dombrovskis setzte eine strenge Sparpolitik durch.

Wachstumsraten von fünf Prozent

Am Ende hatten die Mühen Erfolg: Lettland arbeitete sich nach dem Absturz zum Musterschüler der EU hoch mit Wachstumsraten von fünf Prozent in den Jahren 2011 und 2012. Für 2013 werden weitere vier Prozent Wachstum erwartet. Wenn sie sich zum Jahreswechsel nicht über den Euro freuen, so könnten die Letten in der Silvesternacht also zumindest auf das erfolgreiche Jahr 2013 anstoßen. (afp)