Berlin. . Der russische Regierungsgegner Michail Chodorkowski will sich nach der Begnadigung durch Präsident Wladimir Putin auf keinen Machtkampf mit dem Kreml einlassen. Bei seinem ersten öffentlichen Auftritt kündigte der 50-Jährige in Berlin den Verzicht auf eine politische Karriere an. Auf einen neuen Rechtsstreit um seinen früheren Konzern Yukos will es der Ex-Milliardär nicht mehr ankommen lassen.

Nach Russland will er nicht zurück. Michail Chodorkowski mag auch nicht den Dissidenten abgeben, der aus der Ferne Opposition betreibt. „Der Kampf um die Macht – das ist nicht mein Ding“, sagt er. Es ist der Schlüsselsatz seines ersten Auftritts in der Freiheit, nachdem der russische Präsident Wladimir Putin ihn begnadigt hat.

Der berühmteste Kreml-Gegner will nicht politisch aktiv sein, übrigens ebenso wenig geschäftlich. Das „Big Business“, wie er es nennt, das war mal im früheren Leben als Ölmagnat, als Yukos-Chef – bevor er für zehn Jahre ins Straflager ging. Um seine Firmenanteile will er nicht kämpfen.

Jetzt ist er frei und überwältigt vom Rummel. Mit Aufmerksamkeit hatte der Mann gerechnet, aber nicht mit dem Ansturm auf das Mauermuseum am „Checkpoint Charlie“, der Kulisse der ersten Pressekonferenz, nachdem er am Freitag in Berlin gelandet war.

Der Ort hat eine gewisse Symbolik. Hier standen sich 1961 russische und amerikanische Panzer gegenüber. Es war die Nahstelle zwischen Freiheit und Unfreiheit. Der Ansturm war jetzt derart groß, dass sich der 50-Jährige nur mühsam den Weg bis zur kleinen Bühne bahnen konnte.

Zwei Pressekonferenzen

Viele Fragen stürzen auf ihn ein. Oft sagt Chodorkowski, „36 Stunden, das ist zu wenig Zeit“. Oder: „Geben Sie mir ein bisschen Privatleben.“ Er hält zwei Pressekonferenzen ab: Erst ein intimes Treffen mit Journalisten, die all die Jahre das Interesse an seinem Fall wachgehalten hatten, darunter viele Moskau-Korrespondenten, und dann eine zweite Runde buchstäblich für den Rest der Welt. Sie wurde live übertragen. Der erste Eindruck: Der Mann hat sich gut gehalten. Die zehn Jahre Lagerhaft haben sich nicht in seine Gesichtszüge eingekerbt. Er trägt zum blauen Anzug ein weißes Hemd und eine dazu passende Krawatte. Er wirkt gelöst. Die Nacht verbrachte er in einem Luxushotel, am Vortag traf er seine Familie.

Chodorkowski bekam ein Visum für ein Jahr in Deutschland. Wie lange er bleiben wird, lässt er offen. Er wolle das erst mit seiner Frau besprechen. Er galt früher als der reichste Mann Russlands und war Milliardär. Was ihm davon geblieben ist, reicht für ein sorgenfreies Leben. Fußballclubs werde er nicht kaufen – auch den Humor hat sich der Mann bewahrt. Er bedankt sich nicht bei Putin, nur so viel über den Präsidenten: Er freue sich „über seine Entscheidung“. So wie er es sieht, hat Putin ihn einst ins Gefängnis gebracht. Damals war es ein Signal, eine Machtdemonstration. Dass er ihn freilasse, sei jetzt aber „kein Symbol für grundlegende Veränderung im Land“.

An ihn seien 2003 härtere Spielregeln angelegt worden als an andere, aber „was will man machen?“ Für einen winzigen Augenblick lässt er seine Ohnmacht aufblitzen, seine Ohnmacht gegenüber Putin. Eigentlich ist er bestrebt, keine öffentliche Rückschau zu halten. Er will seine Helfer nicht in Verlegenheit bringen. Er ist dankbar und weiß, dass er seine Freiheit deutscher Geheimdiplomatie verdankt.

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So ist es zu erklären, dass der einstige Staatsfeind Nummer Eins zu den olympischen Winterspielen, die in Sotschi anstehen, lahm sagt: „Man sollte dieses Fest nicht verderben.“ Es sind, wohlgemerkt, Putins Spiele. Aber Michail Chodorkowski will kein Störfaktor sein, vielleicht mit einer Ausnahme: Für andere Häftlinge will er sich künftig einsetzen. Es ist die einzige Schuld, die Chodorkowski noch begleichen will. Nicht mehr.

Genscher „hat Gutes bewirkt“

Rückblick: Mitte November erzählen ihm seine Anwälte erstmals, dass sich der frühere deutsche Außenminister Genscher für ihn bei Putin einsetze. Er wusste, dass Genscher „nichts Schlechtes“ für ihn machen würde. Es kam aber viel besser: „Er hat Gutes bewirkt.“

Es ist zwei Uhr am Morgen, als er von seiner Freilassung erfährt. Wenig später machte er sich auf den Weg nach Deutschland – nichts wie raus aus Russland. Um Gnade musste er bitten, aber kein Schuldbekenntnis ablegen. Das erklärt, warum er kein gebrochener Mann ist. Psychologisch half es ihm auch, dass seiner Familie kein Haar gekrümmt wurde. „Meine Familie wurde nie berührt“, sagt er.

Viele Fragen stehen im Raum: Wer trieb Genscher an, die Mittlerrolle anzunehmen? Und hat Putin geheime Auflagen gestellt? „Ich kenne“, räumt Chodorkowski ein, „sehr viele Fakten nicht“.