Moskau/Brüssel. Nach mehr als zehn Jahren im Gefängnis ist der Kremlkritiker Michail Chodorkowski aus der Haft entlassen worden. Zuvor war er von Russlands Präsident Putin begnadigt worden. Kanzlerin Merkel hatte die angekündigte Freilassung des Kremlkritikers begrüßt, kündigte aber weiteren Diskussionsbedarf an.

Nach mehr als zehnjähriger Haft ist der russische Kreml-Kritiker Michail Chodorkowski wieder auf freiem Fuß. Der Oppositionelle und frühere Oligarch habe das Gefangenenlager im nordwestrussischen Karelien am Freitag verlassen, meldete die Nachrichtenagentur Interfax unter Berufung auf Sicherheitskreise. Zuvor war er von Russlands Präsident Wladimir Putin mit sofortiger Wirkung begnadigt worden.

Der frühere Chef des inzwischen zerschlagenen Ölkonzerns Yukos war 2003 festgenommen und zwei Jahre später zusammen mit seinem Geschäftspartner Platon Lebedew wegen Betrugs und Steuerhinterziehung zu langjähriger Haft verurteilt worden. Chodorkowski hatte sich offen zur Opposition bekannt. Der einst reichste Mann Russlands setzte sich zudem für den Bau einer von seiner Firma kontrollierten Ölpipeline nach China ein, die den staatlichen Firmen Konkurrenz gemacht hätte. Der Prozess gegen ihn wurde international als politisch motiviert kritisiert.

Die russische Zeitung "Kommersant" berichtete am Freitag unter Berufung auf anonyme Quellen, Anfang Dezember habe es ein Gespräch von Geheimdienstmitarbeitern mit Chodorkowski gegeben, bei dem kein Anwalt zugegen war. Dabei sei ihm gesagt worden, dass sich der Gesundheitszustand seiner krebskranken Mutter verschlechtert habe und ihm ein dritter Prozess drohe. Daraufhin habe sich Chodorkowski, der bislang immer ein Gnadengesuch verweigert hatte, an Putin gewandt.

Chodorkowski lehnte es bislang immer ab, um Begnadigung zu bitten

Chodorkowskis Anwälte und seine Mutter hatten am Donnerstag angegeben, keine Kenntnis von dem von Putin erwähnten Gnadengesuch zu haben. Chodorkowski hatte es bisher immer abgelehnt, um Begnadigung zu bitten, weil er ein damit verbundenes implizites Schuldeingeständnis vermeiden wollte.

Nach dem überraschenden Gnadenerlass von Präsident Wladimir Putin hat Russland mit Spannung auf die Freilassung des Kremlkritikers Michail Chodorkowski gewartet. Es war unklar, wann der frühere Öl-Milliardär das Straflager nahe der Grenze zu Finnland verlassen kann.

Der 50-Jährige wollte nach Angaben seines Pressedienstes zunächst mit seinen Anwälten die von Putin angekündigte Begnadigung beraten. Der scharfe Gegner des Präsidenten sitzt seit mehr als zehn Jahren in Haft. Auch die Freilassung von zwei Mitgliedern der Putin-kritischen Punkband Pussy Riot im Zuge einer Massenamnestie wurde jederzeit erwartet.

In Deutschland stieß die völlig unerwartete Ankündigung einer Amnestie für Chodorkowski auf Zustimmung. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte am Donnerstagabend am Rande des EU-Gipfels in Brüssel: "Ich habe mich sehr oft dafür eingesetzt, dass Herr Chodorkowski freigelassen werden kann, und deshalb freue ich mich natürlich, wenn das morgen passieren sollte."

Bundesaußenminister hofft auf baldige Freilassung von Chodorkowski

Es werde aber sicherlich weitere Diskussionen über andere Punkte geben, in denen es Meinungsunterschiede mit Moskau gibt. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier sagte bei einem Polen-Besuch: "Die Begnadigung ist eine gute Sache. Wir wünschen uns, dass Chodorkowski bald auf freien Fuß kommt."

Der sensationelle Schritt gilt auch als Zugeständnis des Kreml an den Westen vor den ersten Olympischen Winterspielen in Russland, die am 7. Februar im Schwarzmeerort Sotschi eröffnet werden.

Westliche Politiker sowie Menschenrechtler hatten immer wieder Freiheit für politische Gefangene in Russland gefordert. Zudem sah sich Russland in jüngster Zeit wegen der Menschenrechtslage verstärkt mit Aufrufen zu einem Olympia-Boykott konfrontiert.

Putin kündigte den Straferlass nach einer mehr als vierstündigen Pressekonferenz in Moskau an. Chodorkowski war Chef des mittlerweile zerschlagenen Ölkonzerns Yukos und der einst reichste Mann Russlands. Erst vor kurzem hatte die russische Justiz weitere Verfahren gegen ihn angekündigt.

Putin sieht "keine Perspektive für weiteres Vorgehen"

Chodorkowski war in zwei international als politisch motiviert kritisierten Verfahren unter anderem wegen Geldwäsche und Steuerhinterziehung verurteilt worden. Putin sagte nun, er sehe keine Perspektive für ein weiteres Vorgehen. Die Begnadigung begründete der Präsident indirekt damit, dass Chodorkowskis Mutter krank sei.

Unklar war auch, wann die wegen Rowdytums verurteilten Mitglieder von Pussy Riot freikommen. Die Verwandten von Nadeschda Tolokonnikowa (24) und Maria Aljcohina (25) reisten zu den Straflagern. Sie profitieren als junge Mütter von einer von Putin veranlassten Massenamnestie für insgesamt 25 000 Menschen.

Auch die wegen Rowdytums angeklagten 30 Umweltschützer der Organisation Greenpeace fallen unter den Gnadenakt. (dpa/afp)