Brüssel. Die EU-Finanzminister haben beschlossen, wie man in Zukunft mit Pleite-Banken umgehen möchte. Kommt eine Bank in finanzielle Schieflage, sollen vor allem Sparer geschützt werden, denn Guthaben unter 100.000 Euro bleiben unangetastet. Jetzt muss nur noch das EU-Parlament zustimmen.
Die Europäer sind bei der Absicherung ihrer krisenanfälligen Finanzbranche einen Riesenschritt weitergekommen. Die EU-Finanzminister einigten sich am Mittwochabend nach zwölfstündigen Marathonverhandlungen auf den letzten Pfeiler der Bankenunion - das ist das Regelwerk für die Schließung oder Sanierung von Pleitebanken. In der Finanzkrise hatten die EU-Länder insgesamt rund 1,6 Billionen Euro in marode Geldhäuser gepumpt.
Die EU will mit der Bankenunion Sparer besser schützen und Steuerzahler bei Zusammenbrüchen von Geldhäusern schonen. Unterhändler der EU-Institutionen einigten sich in der Nacht zum Mittwoch in separaten Verhandlungen auf eine bessere Absicherung von Sparern in Europa.
"Chef"-Gipfel am Donnerstag in Brüssel
Die EU-Staats- und Regierungschefs hatten eine Einigung bei der Bankenabwicklung bis Jahresende mehrfach gefordert. Die "Chefs" treffen sich am Donnerstag in Brüssel zu ihrem Gipfel - und brauchen sich mit dem äußerst komplizierten Thema nicht mehr im Detail zu beschäftigen. Bei dem Spitzentreffen wird es vor allem um die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik gehen. Auch die politische Krise in der Ukraine wird zur Sprache kommen.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble begrüßte den mühsam erzielten Kompromiss für die Bankenabwicklung. Das sei der "richtige Beitrag, um eine weitere Stabilisierung des Finanzsektors zu erreichen", sagte der CDU-Politiker. Es sei noch möglich, die Gesetzgebung in der laufenden Legislaturperiode des Europaparlaments abzuschließen. Die Volksvertretung muss dem Kompromiss noch zustimmen. Im kommenden Mai sind Europawahlen geplant.
Entscheidungen fällt ein neues Gremium
Der französische Ressortchef Pierre Moscovici sprach von einer Vereinbarung mit historischer Bedeutung. "Die Architektur, die wir brauchen, um Krisen zu begegnen, ist geschaffen." Kernstück ist ein gemeinsamer Topf, der über zehn Jahre hinweg mit Bankengeldern aufgebaut wird. Ob und wie eine Bank abgewickelt wird, entscheidet ein neues Gremium, dem unter anderen Vertreter der Mitgliedsstaaten angehören. Die EU-Kommission hat ein Veto-Recht.
Die Verhandlungen mit dem EU-Parlament ergaben, dass bei Bankenkrisen Guthaben von kleinen Sparern in einer Höhe von bis zu 100 000 Euro komplett geschützt sind. Auf ihr Geld sollen Bankkunden künftig bereits nach sieben statt bisher zwanzig Werktagen zugreifen können, erklärte der SPD-Europaabgeordnete Peter Simon.
Banken müssen nachzahlen
Der Banken-Abwicklungsfonds soll am Ende bis zu 55 Milliarden Euro umfassen. Er könne in der Aufbauphase auch Kredite aufnehmen, falls er klamm sei, so Teilnehmer. Das gepumpte Geld müsse aber letztlich von den Banken nachbezahlt werden. Für den Topf ist ein neuer internationaler Vertrag geplant; er soll bis Ende Februar kommenden Jahres ausgearbeitet werden.
Das neue System zur Bankenabwicklung wird von 2016 an kommen. Es ergänzt die bereits fest vereinbarte europäische Bankenaufsicht, die im November 2014 als erster Pfeiler der Bankenunion starten wird. Beide Pfeiler gelten für die Euroländer sowie Nicht-Eurostaaten, die freiwillig mitziehen.
Das Regelwerk zur Bankenabwicklung und der europäische Notfonds
Worum geht es?
Es geht um die Lehre aus der Finanz- und Schuldenkrise. Künftig sollen Banken nicht mehr ungehindert faule Kredite anhäufen und somit das Finanzsystem ins Wanken bringen können. Deswegen beschloss die EU vor einem Jahr eine einheitliche Bankenaufsicht. Damit marode Geldhäuser nicht mit Steuergeldern am Leben gehalten werden müssen, sollen zudem künftig in der Regel zunächst Inhaber, Gläubiger und Großanleger zur Kasse gebeten werden. Muss eine Bank geschlossen werden, soll das nach dem europäischen Abwicklungsmechanismus geschehen. Die Kosten werden aus einem durch die Banken gespeisten Gemeinschaftsfonds gedeckt.
Wer entscheidet über die Abwicklung einer Bank?
Dafür wird eine Abwicklungsagentur geschaffen, deren Gremium mit Vertretern der Mitgliedstaaten besetzt wird. Die Agentur soll im Notfall innerhalb eines Wochenendes über die Auflösung einer Bank entscheiden und diese dann überwachen. Die EU-Kommission prüft die Entscheidungen des Gremiums und kann Einspruch einlegen. In solchen Zweifelsfällen liegt das letzte Wort bei den EU-Finanzministern. Die EU-Kommission wollte ursprünglich selbst die finale Entscheidung über die Schließung einer Bank treffen - traf damit aber auf den erbitterten Widerstand besonders Deutschlands.
Welche Banken werden erfasst?
Die EU-Kommission hatte sich mit der Unterstützung Frankreichs dafür ausgesprochen, dass alle 6000 Eurozonen-Banken im Krisenfall unmittelbar in die Kompetenz der Abwicklungsagentur fallen. Dagegen hatte sich die Bundesregierung gewehrt, die stets die Sparkassen vor europäischer Kontrolle schützen will. Nun sollen mehrere hundert Banken direkt unter das neue Regelwerk fallen: die besonders großen und grenzüberschreitend tätigen Institute. Die anderen Banken können im Ernstfall von nationalen Behörden abgewickelt werden, allerdings nach einheitlichen Regeln.
Wie wird der Fonds aufgebaut?
Einzahlen müssen die Banken selbst, um die Kosten einer Abwicklung zu tragen. Angepeilt sind rund 55 Milliarden Euro innerhalb von zehn Jahren. Der deutsche Anteil liegt bei etwa zehn Milliarden. Um dies zu erreichen, müssen die deutschen Banken deutlich höhere Abgaben zahlen als bisher an den deutschen Restrukturierungsfonds. Anfangs ist der europäische Fonds noch in nationale Kammern aufgeteilt, die jährlich immer stärker miteinander verschmelzen, bis nach zehn Jahren ein komplett gemeinsamer Notfalltopf entstanden ist.
Und wenn der Fonds nicht ausreicht?
Dafür werden finanzielle Absicherungen geschaffen. In der zehnjährigen Aufbauphase des Abwicklungsfonds sollen diese aus nationalen Mitteln oder dem Euro-Rettungsfonds ESM kommen. Direkte Kapitalspritzen des ESM an marode Banken sind derzeit noch nicht möglich. Ist der Abwicklungsfonds nach zehn Jahren aufgebaut, soll er sich auch Geld leihen können. Hier müssen die Einzelheiten aber noch geklärt werden.
Ab wann gilt das Abwicklungsregime?
Vollkommen zur Anwendung kommen sollen die neuen Regeln zu Jahresbeginn 2016. Das ist ein Jahr später als ursprünglich geplant. Allerdings soll zeitgleich die sogenannte Haftungskaskade wirksam werden: Danach müssen bei Bankenpleiten in der Regel zunächst Inhaber, Gläubiger und reiche Anleger einspringen anstatt wie bisher die Steuerzahler. Das war bisher erst für 2018 vorgesehen.
Gibt es noch eine Hürde?
Ja. Die ausstehenden Verhandlungen mit dem Europaparlament. Nach einer Positionsbestimmung des Wirtschaftsausschusses des Parlaments sprach der Grünen-Abgeordnete Sven Giegold am Dienstag von einem "Kollisionskurs" zwischen Parlament und Mitgliedstaaten. Schäuble mahnte die Abgeordneten: "Wir brauchen diese Einigung schnell." (dpa/afp)