Washington. . Michael Lehnert hat vor elf Jahren die ersten Drahtverschläge des späteren Gefangenenlagers bauen lassen für die Verdächtigen des islamistischen Terrors von 9/11. Heute sagt der Brigade-General: Sowohl das Lager wie die Verhörpraxis haben nur dem Feind genutzt.
Michael Lehnert hatte im Januar 2002 gerade einmal 96 Stunden Zeit, um auf einer kleinen Landzunge auf der Karabik-Insel Kuba ein provisorisches Gefängnis für die „Schlimmsten der Schlimmsten“ zu errichten, wie der damalige amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld sie nannte: mutmaßliche Terrorkämpfer, Helfershelfer der Taliban, Sympathisanten von El Kaida. Jener seinerzeit von Osama Bin Laden geführten Organisation, die wenige Monate zuvor in New York und Washington Amerika die furchtbarste Wunde seit Pearl Harbor geschlagen hatte: den 11. September 2001 mit über 3000 toten Zvilisten.
Die menschenunwürdigen Drahtverschläge von Camp X-Ray für die ersten 100 Häftlinge auf der seit 1903 gegen Pacht unterhaltenen US-Marinebasis sind längst verwaist, stillgelegt und von der üppigen Vegetation überwuchert. Würde das doch auch nur für den hochmodernen Rest des umstrittensten Gefängnis-Komplexes der Welt gelten - sagt Michael Lehnert und sorgt damit landesweit für Schlagzeilen.
Sofortige Schließung des Lages gefordert
Der erste Kommandeur des Terror-Gefangenenlagers Guantanamo fordert in einem spektakulären Appell in der „Detroit Free Press“ die sofortige Schließung der weltweit als Schandlager empfundenen Einrichtung, in der heute noch 160 von ursprünglich 779 Männern festgehalten werden. Fast alle seit über zehn Jahren, fast alle ohne rechtsstaatliches Verfahren.
Im Rückblick fällt das Urteil des heute als Armee-Veteran in Michigan lebenden Brigade-Generals vernichtend aus. „Sowohl das Lager wie die Verhörpraxis waren falsch.“ Mehr noch: „Guantanamo zu behalten, hat unseren Feinden geholfen. Weil es jede negative Meinung über Amerika bestätigt.“ Selbst den schlimmsten Vorwurf verkneift sich Lehnert nicht. „Ich denke, die Terroristen waren erfolgreich. Sie haben es geschafft, dass wir uns ändern, dass wir unsere Verfassung ignorieren und uns so verhalten, als hätten wir Angst.“
82 Häftlinge warten bereits auf die Abschiebung
Angst, die Inhaftierten vor Zivilgerichten auf dem amerikanischen Festland abzuurteilen, wie es Präsident Obama seit 2009 ohne Erfolg versucht. Lehnert nennt die sich allmählich lockernden Fesseln, die der Kongress dem Weißen Haus angelegt hat, „unklug und unnötig“. 82 Guantanamo-Häftlinge seien seit Jahren für die Abschiebung in ihre Heimatländer freigegeben - weil gegen sie nichts vorliegt. Den Rest könne man guten Gewissens in den USA juristisch behandeln. Die Risiken seien beherrsch - und hinnehmbar, sagt der dekorierte Ex-Soldat und bringt ein schlagendes Finanzargument. Derzeit koste jeder Guantanamo-Häftling den US-Steuerzahler 2,7 Millionen Dollar im Jahr. Zum Vergleich die Kosten in einem normalen Hochsicherheitsgefängnis für eine Person: 78 000 Dollar.
Lehnerts Vorstoß steht im Kontext der Zeit. Die wenigen seit 2010 im Test-Stadium steckenden Militär-Tribunale auf Guantanamo, etwa gegen die Drahtzieher des 11. September um Sheik Khaled, drohen bereits in der Frühphase jede juristische Legitimität zu verlieren. So wurden Pflichtverteidiger der Angeklagten heimlich abgehört. Die CIA vermochte es sogar, Richter James Pohl zu düpieren - sie ließ mitten in der Verhandlung, als delikate Details über folterähnliche Verhörmethoden anstanden, die Tonübertragung stoppen.
Einblick in Guantanamo
Präsident Obama drängt den Kongress seit einigen Monaten wieder massiver, den Weg für eine Schließung von Guantanamo frei zu machen. Seine Strategie: Ohne große öffentliche Begleitmusik in kurzer Zeit möglichst viele der 82 „Unbedenklichen“ in ihre Heimatländer oder aufnahmebereite Drittländer abzuschieben. Binnen weniger Tage wurden zuletzt zwei Algerier und zwei Männer aus Saudi-Arabien von Kuba aus ausgeflogen. Dem Vernehmen nach folgen Anfang des kommenden Jahres weitere; diesmal nach Europa. Michael Lehnert hat noch einen anderen Aspekt im Sinn. Ende 2014 endet der offizielle Kampfeinsatz der US-Truppen in Afghanistan, schreibt der Ex-Militär. "Einen besseren Zeitpunkt, um Guantanamo bis dahin zu schließen, gibt es nicht."