Essen. FDP und SPD haben die Bundestagswahl verloren. Dennoch freuen sie sich über viele neue Mitglieder. Ein Trend, der in NRW und in Deutschland zu beobachten ist. Auch Union, Linke und Grüne wachsen vielerorts. Politik scheint den Bürgern wieder Spaß zu machen. Aber der Boom hat auch andere Gründe.
Wahl verloren – und dennoch dazugewonnen: Die SPD fuhr Ende September zwar mit 25,7 Prozent ihr bisher zweitschlechtestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl ein, seitdem aber stehen die Leute fast Schlange, um in die Partei einzutreten. Allein in NRW freut sich die SPD seit dem Wahlabend über rund 1550 Neueintritte. Das gleiche "Wunder" geschieht auch beim größten Wahlverlierer, der FDP. Seit Jahren haben nicht mehr so viele Menschen bei der FDP angeklopft. 400 Mitglieder mehr zählen die Liberalen in NRW, seit die Partei aus dem Bundestag flog.
Ist das schlicht verkehrte Welt? Oder ein Mitleidseffekt? Oder herrscht politische Aufbruchstimmung? Für die letztgenannte These spricht, dass sich auch Union, Linke und Grüne an Rhein und Ruhr über Zuwachs freuen. Die Parteien scheinen – zumindest kurzfristig – wieder attraktiver zu sein.
Alle vier Jahre ein Plus
Christian Obrok, Sprecher der NRW-SPD, nennt einen Grund dafür: "Wahlkampfzeiten sind Eintrittszeiten." Wenn viel über Politik geredet und gestritten wird, nimmt das Interesse am politischen Geschehen zu. "Dieser Trend ist alle vier Jahre zu beobachten", bestätigt der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte. Kurz nach den Bundestagswahlen 2002 und 2005 traten in NRW ebenfalls 1500 Bürger in die SPD ein. Nach der Wahl 2009 waren es sogar mehr als 2000.
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Einige Sozialdemokraten glauben, das bevorstehende Mitgliedervotum zum Koalitionsvertrag habe Interesse an der Partei geweckt. Nach dem Motto: In der SPD sind meine Meinung und meine Stimme gefragt. Für den Wissenschaftler Karl-Rudolf Korte ist das ein naheliegender Gedanke. Die Konsequenzen indes könnten für die Parteiführung unangenehm sein. Denn: "Die Möglichkeit, mit Nein zu stimmen, ist interessanter und motivierender als ein Ja", so Korte. Viele der Neuen dürften also Gegner der Großen Koalition sein.
Eine andere Erklärung für den Mitgliederzuwachs ist: Mitleid. "Die SPD hat eine extreme Niederlage kassiert. Mit 25 Prozent ist sie kaum noch eine Volkspartei. Das hat aber auch den Effekt, dass viele sich mit den Unterlegenen solidarisieren", sagt Korte.
Mitleid oder Jetzt-erst-recht-Effekt?
Wenn dies für die SPD zutreffen sollte, dann in noch viel stärkerem Maße für die FDP. Parteisprecher Moritz Kracht nennt es natürlich nicht Mitleid, sondern "Jetzt-erst-recht-Effekt". "Viele sagen jetzt, wir brauchen eine liberale Partei", so Kracht. Grund Nummer zwei für das Plus von 400 auf aktuell 14.978 FDP-Mitglieder in NRW ist laut Kracht die anstehende Neuausrichtung der vom Wähler so gestraften Partei: "Es wird über Inhalte und Personal geredet, Ballast wird abgeworfen." In den letzten Jahren hatten die Liberalen einen "leichten Abwärtstrend" bei den Mitgliedern. Das habe sich seit Ende September "um 180 Grad gedreht".
Der Zuwachs bei den NRW-Grünen liegt im Aufwärts-Trend der letzten Jahre. Vor der Bundestagswahl gab es im Land 12.798 Grüne, jetzt sind es 12.855.
Die Linke in NRW sprang nach der Wahl wieder klar über die 7000-Mitglieder-Marke und erlebt einen regelrechten Ansturm. In der Woche nach der Wahl gab es 115 Neuaufnahmen, danach "50 neue pro Woche", denen derzeit nur fünf Austritte in der Woche gegenüberstehen. "Wir sind die einzige echte Oppositionspartei", heißt es erklärend aus der Parteizentrale.
Auch mit der CDU geht es bergauf
Die Union legt ebenfalls zu. Zwar sind noch keine Zahlen aus dem Oktober bekannt, aber der September brachte der NRW-CDU 555 neue Mitglieder. Gegengerechnet mit Austritten und Sterbefällen bleibt ein Plus von 149 Mitgliedern. "Das beste Ergebnis seit November 2008", freut sich NRW-CDU-Generalsekretär Bodo Löttgen. Er glaubt, das liege auch daran, dass die CDU ihre Mitglieder immer intensiver mitreden lasse.
Die SPD in NRW hat rund 122.000 Mitglieder. Die Union kommt auf rund 147.000.
CDU-"General" Bodo Löttgen spricht angesichts der Zuwächse bei allen großen Parteien von einer insgesamt positiven Entwicklung: "Es ist gut, dass sich wieder mehr Menschen in der Politik engagieren wollen."
Die Parteien seien gut beraten, die Mitglieder mitbestimmen und mitreden zu lassen. Die NRW-CDU gehe diesen Weg.